Ein Warnruf

Interview mit Hans-Werner Sinn, Augsburger Allgemeine Zeitung, 17.02.2012

AUGSBURG Andreas Kopton wünscht sich von Hans-Werner Sinn einen optimistischen Ausblick. Schließlich kann der Präsident der Industrie- und Handelskammer Schwaben beim 38. Konjunkturgespräch, das er zusammen mit der Universität Augsburg veranstaltet, gestern von einer anhaltend positiven Stimmung der regionalen Firmen berichten. Doch der Chef des Münchner Ifo-Instituts hat ein anderes Anliegen: Er nutzt den traditionsreichen Dialog zwischen Wirtschaft und Wissenschaft, um vor den Gefahren zu warnen, die aus seiner Sicht ein weiterer Verbleib Griechenlands in der Euro-Zone für die Bürger bedeutet. Dafür findet der anerkannte Ökonom klare Worte, wenn er sagt: „Wir machen unsere Kinder zu Gläubigern der Südstaaten.“ Auf dem Spiel stehe nicht weniger als das Vermögen der Deutschen.

Damit vertritt Sinn auch in Augsburg seine streitbaren Thesen: „Es gibt keinerlei Möglichkeiten, Griechenland im Euro-Raum wieder wettbewerbsfähig zu machen“, sagt der Professor. Immer neue Hilfsmilliarden brächten nichts. Griechenland müsste um rund 30 Prozent billiger werden, also massiv Preise und Löhne senken, rechnet Sinn vor. Damit bringe man das Land aber an den Rand eines Bürgerkrieges, an dem es zerbreche. Sinn betont, dass auch bei hoch verschuldeten Staaten ähnlich wie in der Physik Gesetze gelten, die nicht einfach ignoriert werden könnten. Doch um die Rettung Griechenlands oder der Euro-Zone geht es nach seiner Einschätzung gar nicht: „Die vergifteten Papiere in den Portfolios reicher Anleger müssen gerettet werden. Die Griechen sind nur ein Vorwand.“ Und dies gelänge nur, „wenn die Deutschen den Schrott abkaufen“.

Das Kernproblem für Sinn ist der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB). Obwohl Deutschland der größte Geldgeber ist, habe man kaum Einfluss auf die Strategie. Der Kauf von hoch riskanten Staatsanleihen, die mit immer weniger Sicherheiten hinterlegt seien, führe direkt in einen Teufelskreis. Damit würde nicht nur der Verschuldung der Länder keinerlei Einhalt geboten, zudem verringere sich die Chance, das geliehene Geld wiederzusehen. Hinzu kommt, dass die einzelnen Notenbanken Geld nachdrucken und die Krise verschärft werde. So greife die EZB in den Kapitalfluss ein. Damit gelten Sinn zufolge nicht mehr die Regeln des freien Marktes, sondern die Vorgaben einer politisch gewollten Instanz. Nebenbei würden so die Südbanken zulasten der Banken in Nordeuropa subventioniert und der freie Handel zwischen den Kredithäusern nachhaltig gestört werden.

Auf dieses Missverhältnis macht auch Professor Rolf Langhammer aufmerksam. Der Vizepräsident des Instituts für Weltwirtschaft an der Universität Kiel stellte in seinem Vortrag die Exportlastigkeit Deutschlands zur Diskussion. Zwar zeigten alle Studien, dass es Deutschland hervorragend versteht, international gefragte Produkte herzustellen und die Zukunftsmärkte als Partner zu gewinnen, dennoch gilt es, etliches zu verbessern: Langhammer zufolge wird nicht nur das wirtschaftliche Potenzial der Energiewende nicht voll ausgeschöpft, auch im Dienstleistungssektor benötige Deutschland einen Strukturwandel. Nicht etwa indem der Staat höhere Löhne festlegt, entstehen seiner Meinung nach im Bereich Bildung und Gesundheit neue Arbeitsplätze, sondern mit einem Innovationsschub. Wer die Exportabhängigkeit verringern will, müsse aber auch den grenzüberschreitenden Arbeitsmarkt in Europa ausbauen.

Gerade die guten deutschen Exportzahlen sind es aber, die Sinn zu seinen von Andreas Kopton so ersehnten zuversichtlichen Aussagen bewegen: „Deutschland steht gut da“, betont Sinn. „Von einem drohenden Absturz kann hier nicht die Rede sein“, sagt er und unterstreicht diesen Lichtblick mit zahlreichen bunten Tabellen, deren Kurven am Ende stets zaghaft nach oben weisen. Deutschland sei „die Wachstumslokomotive in Europa“ und gerade die wichtigen BRIC-Staaten, also Brasilien, Russland, Indien und China, erholen sich von der Krise. Doch schon mag Kopton bei diesen Worten etwas Hoffnung schöpfen, da kehrt Sinn zu seiner schonungslosen Analyse des restlichen Europas zurück, die in der Bemerkung schließt: „Solange die Krise köchelt und die Anleger Angst um ihr Geld haben, erlebt Deutschland wenigstens einen Bauboom. Ironisch kann man anfügen: Wir verlieren zwar unser Vermögen, dürfen aber weiter arbeiten.“