Buchrezension - Steuertarif auf Rädern und Ausstieg aus Atomausstieg

Presseecho, NWZ online, 26.06.2013

ifo Präsident Hans-Werner Sinn stellt sein „Zukunftsprogramm für Deutschland“ vor

Nein, ein Blatt vor den Mund genommen hat Hans-Werner Sinn noch nie. Das aktuelle Buch des Präsidenten des Münchner ifo  Instituts mit dem Titel „Verspielt nicht eure Zukunft!“ bildet da keine Ausnahme.

Im Mittelpunkt des kompakten Büchleins stehen dabei weniger die Staatsschuldenkrise und der Euro, zuletzt die Lieblingsthemen des streitbaren Ökonomen, sondern jene zentralen Reformhausaufgaben, die Deutschland aus Sicht von Sinn auch ohne seine europäischen Partner selbstverantwortlich angehen kann. Aufgezogen ist das Buch als Interview-Gespräch mit Jens Schadendorf, wobei der Herausgeber der „Edition Debatte“ des Verlags Redline weniger als kritischer Nachfrager denn als strukturierender Stichwortgeber auftritt.

Ausgangspunkt der Überlegegungen Sinns zu seinem „Zukunftsprogramm für Deutschland“ ist dabei die vor zehn Jahren beschlossene Agenda 2010. Die unter der Regierung Schröder eingeleiteten arbeits- und sozialpolitischen Reformen seien zwar „überaus erfolgreich“ gewesen, müssten jedoch endlich weiterentwickelt werden, so eine der zentralen Thesen.

In fünf zentralen Kapiteln setzt sich Sinn mit den Themen Arbeitsmarkt, Energiepolitik, Familienpolitik, Zuwanderung und Schulpolitik auseinander. Der ifo Chef mahnt mehr Lohnflexibilität und Lohnzuschüsse an, kritisiert die „untragbare Diskriminierung von Kindern, Müttern und Familien“ und fordert den „Ausstieg aus dem Atomausstieg“.

Interessant sind die Ausführungen Sinns vor allem dort, wo er sich gegen den politischen Mainstream stellt, wie in der Energiepolitik, oder wo er bislang noch wenig bekannte wirtschaftspolitische Forderungen anbringt. So spricht sich Sinn etwa für einen „Steuertarif auf Rädern“, eine automatische jährliche Anpassung aller Freibeträge, Frei- und Progressionsgrenzen an die Wachstumsrate des Sozialprodukts, aus. Geht es dagegen um Themen, bei denen der Ökonom Sinn kein Heimspiel hat, etwa in Sachen Schulpolitik, wirkt die Argumentationskette zuweilen eher dünn.

Doch egal, ob man die einzelnen Positionen von Sinn teilt oder nicht, gibt das kurzweilige Buch viele Denkanstöße in der aktuellen politischen Debatte. Dass das Bändchen wenige Monate vor der Bundestagswahl herauskommt, dürfte sicherlich kein Zufall sein.