In den deutschen Exporten stecken immer mehr Importe

Presseecho, Stuttgarter Zeitung, 09.02.2006

Trotzdem gilt die Bezeichnung Basarökonomie als übertrieben - Das Beispiel Porsche Cayenne zeigt die Berechnungsprobleme

Deutschland ist wieder Exportweltmeister, aber die Freude darüber ist gedämpft. Denn der Erfolg verpufft offenbar: schwaches Wirtschaftswachstum, steigende Arbeitslosigkeit. Sind es nur Scheinerfolge, die die deutsche Wirtschaft auf den Auslandsmärkten verbucht?

Von Michael Heller

Es ist wahrscheinlich die populärste Wortschöpfung in jüngster Zeit auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaften: Basarökonomie. Geprägt hat den Begriff der Chef des Münchner Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo, Hans-Werner Sinn. Seine These: die deutsche Industrie beglückt die Welt in immer stärkerem Maße mit Waren, die sie selbst an osteuropäischen Billiglohnstandorten hat fertigen lassen. Die Folge: Deutschland kann mit Exporterfolgen prahlen, das Land selbst hat aber kaum etwas davon; hier ist nur der Tresen, an dem die anderswo gefertigten Güter verkauft werden. Sinn hat seine These von der Basarökonomie zunächst forsch vertreten, später aber abgeschwächt und von einer Karikatur gesprochen - die, so der Ifo-Chef, der Realität aber schneller näher komme, als es die meisten glauben mögen.

Aufgeschreckt durch Sinns These hat das Statistische Bundesamt vor eineinhalb Jahren untersucht, wie viel Import wirklich im deutschen Export steckt. Nach der Untersuchung der Statistiker ist der Importanteil der deutschen Ausfuhren zwischen 1995 und 2002 tatsächlich kräftig gestiegen: von 29,7 Prozent auf 38,8 Prozent (aktuellere Zahlen liegen nicht vor). Stammten 1995 also noch 70,3 Prozent der Exporte aus deutscher Wertschöpfung, so waren es 2002 nur noch 61,2 Prozent. Für diese Produktionsverlagerungen gibt es viele Beispiele. So baut Audi zum Beispiel seine Motoren in Ungarn, die von dort nach Neckarsulm und Ingolstadt geschickt werden (aus deutscher Sicht ein Import). Dort bauen die Arbeiter sie in Autos ein, die dann in die ganze Welt exportiert werden (aus deutscher Sicht ein Export).

Trotz des höheren Importanteils mögen die Statistiker Sinns These nicht folgen. Nach ihrer Ansicht ist hierdurch der positive Beitrag der Exportwirtschaft zur Wertschöpfung in Deutschland lediglich gedämpft worden. Auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat Sinns These glatt bestritten: "Deutschland ist keine Basarökonomie", haben die Autoren ihre Arbeit überschrieben. Darin heißt es: "Es gibt keine Hinweise auf eine ausgeprägte Verlagerung von Wertschöpfung aus Deutschland heraus."

Aber wer hat nun Recht? Dies zu beantworten ist nicht einfach, denn die volkswirtschaftlichen Daten sind nicht präzise genug. Schon an der Frage, wie deutsch ein einzelnes Produkt ist, scheiden sich die Geister. Sinn verwendet als Beispiel für seine These von der deutschen Basarökonomie gerne den Porsche Cayenne. Nach seiner Darstellung werden im Porsche-Werk Leipzig im Wesentlichen nur der Antrieb und die Lenkung eingebaut; ansonsten komme das Auto schon ziemlich fertig aus Bratislava, wo der Porsche-Partner Volkswagen auch das Schwestermodell baut, den VW Touareg. Ferdinand Dudenhöffer, Direktor des Centers of Automotive Research an der Fachhochschule Gelsenkirchen, ist ihm jüngst beigesprungen: zwei Drittel der Wertschöpfung würden im Ausland geleistet, hat er in einem Aufsatz geschrieben. Dies heißt, dass der Cayenne sein "made in Germany" zu Unrecht trägt, denn dieses Prädikat verlangt einen deutschen Wertschöpfungsanteil von etwa 45 Prozent.

Allerdings rudert Dudenhöffer auch gleich wieder zurück, indem er einräumt, dass genaue Berechnungen schwierig seien. Denn die Herkunft von Unternehmen wie dem Armaturenhersteller Faurecia (Frankreich) und dem Sitzproduzenten Johnson Controls (USA) sagt nichts darüber aus, woher die Teile stammen. Also wird mit Schätzungen gearbeitet. Bei Porsche ärgert man sich natürlich über den Vorwurf des Etikettenschwindels. Die Stuttgarter haben selbst nachgerechnet und kommen auf einen Wertschöpfungsanteil in Deutschland von exakt 61,3 Prozent, sofern die Einmalkosten für Entwicklung und Werkzeuge auf das einzelne Fahrzeug umgelegt werden. Ohne diese Kosten beträgt die Deutschland-Quote nach den Berechnungen von Porsche 55,4 Prozent. Dabei bezieht der Sportwagenbauer seine eigenen Werke in Zuffenhausen und Leipzig sowie die deutschen Werke der großen in- und ausländischen Systemlieferanten ein. Auch diese Rechnung ist natürlich oberflächlich. Berücksichtigt man, dass das Eisenerz für die Bleche aus den deutschen Thyssen-Krupp-Werken womöglich aus Afrika stammt, dann könnte der deutsche Wertschöpfungsanteil unter 50 Prozent liegen.