Gefangen im Euro

Presseecho, Focus 14/2014, S. 30 , 31.03.2014

Seit fünf Jahren kämpft die Euro-Zone mit einer schweren Krise. Oder ist sie schon vorbei? Das behaupten nur Politiker, glaubt ifo Präsident Sinn

Eine Analyse von Prof. Hans-Werner Sinn

Es gibt politische Wahrheiten und wirkliche Wahrheiten. Politische Wahrheiten entstehen, indem hinreichend viele Politiker sie einander erzählen, bis sie selbst, die Medien und die Menschen sie glauben. Wirkliche Wahrheiten folgen aus statistischen Fakten sowie ökonomischen und naturwissenschaftlichen Gesetzen.

Mittel- bis langfristig ist keine Wirtschaftspolitik erfolgreich, die diesen Gesetzen widerspricht. Sie scheitert - auch wenn uns Politiker gern anderes glauben machen möchten, um wirtschaftliche Probleme in spätere Wahlperioden zu verschieben. So, wie das seit Jahrzehnten bei der Rente geschieht.

In Diktaturen kann es viele Jahrzehnte dauern, bis sich die Wahrheit durchsetzt, in Demokratien viele Jahre. Politiker, die die ökonomischen Gesetze missachten, mögen ein oder zwei Legislaturperioden damit durchkommen, doch irgendwann kommt es an den Tag, dass etwas falsch läuft. Dann kommen neue Politiker an die Macht und betreiben die Wende oder die Wende von der Wende.

Auch beim Euro zeigen sich die ökonomischen Gesetze unerbittlich. Kurzfristig - nach seiner Einführung - sah alles bestens aus. Aber nun zeigt sich, dass er Europa in eine ökonomische Zwickmühle gebracht hat, aus der es keinen leichten Ausweg mehr gibt. Exzessive Kreditflüsse haben die Länder Südeuropas in die Inflation getrieben und ihrer Wettbewerbsfähigkeit beraubt.

Die Länder Südeuropas sind im Euro gefangen, weil der Austritt als politisches Unglück deklariert wird und sie im Euro nur dann wieder wettbewerbsfähig werden, wenn sie zuvor eine lang währende Massenarbeitslosigkeit erdulden, die weit über das hinausgeht, was man von Tiefpunkten in konjunkturellen Zyklen kennt. Das ist eine fast ausweglose Situation.

Wir in Deutschland sollen durch immer mehr öffentlichen Kredit und immer mehr Kreditgarantien über die Europäische Zentralbank und die Rettungsfonds die zerstörte Wettbewerbsfähigkeit der südlichen Länder kompensieren. Uns scheint es zwar gut zu gehen, weil die Kapitalexporte aus Deutschland heraus den Euro-Kurs niedrig und Krisenländer liquide halten, sodass unser Güterexport ganz gut läuft.

Aber der Schein trügt insofern, als es uns letztlich nicht gelungen ist, für die Exporte ein hinreichend solides und ertragreiches Auslandsvermögen aufzubauen. Zu Hause haben wir nicht mehr genug investiert, und die Auslandsinvestitionen erwiesen sich, soweit sie finanzieller Art waren und über unsere Banken und Lebensversicherungen flossen, als Flop.

Um es auf eine Kurzformel zu bringen: Wir haben genug Arbeit, doch das Vermögen geht verloren. Uns geht es also nur scheinbar gut. Das wird in den nächsten zwei Jahrzehnten jedermann klar werden, nämlich dann, wenn die Babyboomer, die jetzt 50 sind, ins Rentenalter kommen und von ihren mittlerweile erwachsenen Kindem ernährt werden wollen, von denen es nur wenige gibt, und sich das vermeintliche Auslandsvermögen unserer Banken und Versicherungen in Luft aufgelöst hat.

Doch damit nicht genug: Auf der zwischenstaatlichen Ebene hat die Krise Spannungen hervorgebracht, wie wir sie in Europa - abgesehen vom Ost-WestKonflikt - seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr erlebt haben. Und das paradoxerweise als Ergebnis eines politischen Friedensprojekts!

Die Geschichte hat gezeigt, dass sich die ökonomischen Gesetze letztlich durchsetzen - es sei denn, es kommt zu politischen Megaereignissen, wie es zum Beispiel Kriege sind. Aber ohne solche Eruptionen setzen sich die ökonomischen Gesetzmäßigkeiten durch. Das gilt auch für den Euro und die Euro-Rettungspolitik. Je länger diese Politik versucht, die Gesetze der Ökonomie zu ignorieren- und das tut sie derzeit immer noch -, desto mehr müssen künftige Generationen dafür bezahlen.