Ein guter Tag für Europa

Manfred J.M. Neumann, WirtschaftsWoche, Nr. 42, 15.10.2012, S. 42

DENKFABRIK | Das neue Buch von Hans-Werner Sinn liefert vielen Bürgern Orientierung in der Euro-Krisenpolitik. Er nennt die Probleme der Währungsunion beim Namen und stemmt sich gegen die resignierte Politik des Weiter-So. Eine Antwort auf die Rezension durch Bert Rürup vor einer Woche an dieser Stelle.

Ein Buch, das sie gar nicht gelesen hatte, qualifizierte Bundeskanzlerin Angela Merkel vor zwei Jahren souverän als "nicht hilfreich". Ich finde das Buch von Hans-Werner Sinn über die Target-Falle recht hilfreich, auch wenn ich das Buch nicht gelesen habe - noch nicht. Sinn trägt ja nicht zum ersten Mal Kritik an den sich türmenden Target-Krediten vor. Jetzt will er damit einen breiten Leserkreis erreichen.

In seiner Rezension des Buchs für die WirtschaftsWoche hat Bert Rürup betont, er sei beeindruckt von Sinns souveräner Stringenz der Argumentation, sei andererseits "über den missionarischen Eifer irritiert". Na ja, wenn Rürup die steigenden Kreditrisiken Deutschlands verfolgt, dann sollte er sich vielleicht besser Sorgen machen, wie sicher private Geldvermögensanlagen, nicht zuletzt auch Rentenprodukte, überhaupt noch sind. Ein Norbert Blüm wird vielleicht behaupten wollen, die Auszahlungen seien sicher, nur wie viel das noch sein wird, das kann keiner wissen.

Sinns Buch wird hilfreich sein, weil immer mehr Bürger in der Euro-Krisenpolitik nach einer im Wissen und Verstehen begründeten Orientierung suchen. Da die kurzfristigen Beruhigungsformeln von Regierung wie Opposition fast niemanden überzeugen, nimmt die Ablehnung des Euro bei den Bürgern zu. Dem lässt sich nur durch eine fortgesetzte Aussprache über die wirtschaftlichen und politischen Probleme begegnen. Hans-Werner Sinn trägt dazu bei. Er gehört zu den wenigen Ökonomen, die die Probleme nicht weichspülen, sondern klar benennen und sich einem resignierten "Weiter-So" entgegenstemmen. Bert Rürup findet ein "Weiter-So" nicht fatal, bleibt aber jede Erklärung dafür schuldig.

KREDIT AN DIE EZB.

Target-Salden erscheinen vielen als rätselhaft. Der Nimbus des Unverständlichen und Bedrohlichen wird die Auflage von Sinns Buch treiben. Dabei ist es ganz einfach. Target ist ein Zahlungssystem der EZB, durch das die grenzüberschreitenden Zahlungen im Euro-Raum abgewickelt werden. Da die Länder der Euro-Peripherie mehr Waren und Dienstleistungen aus Deutschland beziehen als wir von ihnen und sie überdies mehr Kapital in Deutschland zu parken suchen als wir dort, verzeichnet sich bei der Bundesbank ein hoher positiver Saldo. Rechtlich gesehen handelt es sich um einen Kredit der Bundesbank an die EZB, die das Target-System verantwortet.

"Wie die Pegel am Rhein signalisieren die Target-Salden die Größe des Problems".

Warum ist es ein Kredit? Wer hat da nicht bezahlt? Nehmen wir einmal an, ein Grieche beauftragt seine Bank, 100 Euro an ein Unternehmen in Deutschland zu überweisen, und er bezahlt mit seiner Bankeinlage. Dann nimmt die Bank, weil sie über keine freien Reserven an Zentralbankgeld verfügt, einen Kredit bei der griechischen Zentralbank auf. Diese gibt den Zahlungsauftrag an das Target-System weiter, hat aber auch keine Reserven. Daher wird von der Bundesbank automatisch ein Kredit zur Finanzierung der Target-Zahlung nach Deutschland bereitgestellt. Für die griechische Zentralbank ergibt sich somit ein negativer Target-Saldo von 100 Euro, für die Bundesbank dagegen ein ebenso hoher positiver Target-Saldo. Die Nettoforderung der Bundesbank entspricht der Nettoverbindlichkeit der griechischen Zentralbank.

Wen die Target-Diskussion nervt, der könnte sich für eine Fusion der Euro-Zentralbanken stark machen. Mit dem Target-Spuk wäre es vorbei. Die Salden gäbe es nicht mehr und damit auch keine Target-Falle. Wären damit die Probleme gelöst? Nein, denn nicht das Buchungsverfahren ist entscheidend. Das Risiko für die Bundesbank entsteht mit und ohne Target-System durch den Zwang, in der Währungsunion die griechische Geschäftsbank mitfinanzieren zu müssen. Die eigentliche Falle dabei ist, dass die Bundesbank nicht einmal die Bedingungen bestimmen kann, zu denen sie finanziert und Risiko übernimmt. Wie die Zentralbank Maltas hat sie nur eine von 23 Stimmen, sie trägt aber das größte Risiko.

Da die Geschäftsbanken peripherer Euro-Staaten sich beim Euro-System völlig überschulden dürfen und so sehr hohe Risiken geschaffen haben, ist die Währungsunion fragil geworden. Die Mehrheit im EZB-Rat macht es den Banken zu leicht, mit minderwertigen Pfändern weiteren Zentralbankkredit zu erlangen. Wie die Pegel am Rhein signalisieren die Target-Salden die Größe des Problems. Sie summieren sich bei den Zentralbanken der Kernländer inzwischen auf mehr als eine Billion Euro. Und die Politik schaut achselzuckend zu: "Die EZB ist doch unabhängig." Das hat etwas Scheinheiliges. Man ignoriert das Problem in der irrigen Hoffnung, Draghi werde es mit seiner monetären Staatsfinanzierung schon lösen.

Hans-Werner Sinn hat richtig gerechnet. Die maximalen Kosten eines geschlossenen Austritts der Problemländer aus dem Euro wären astronomisch. Nur - wie wahrscheinlich ist es, dass es dazu kommt? Mir will scheinen, Griechenland jedenfalls wird so oder so nichts zurückzahlen können. Das allein wird Deutschland bis zu 110 Milliarden Euro kosten.