HANS-WERNER SINN Ordnung für das Kasino

Presseecho, Handelsblatt, 12.10.2012, S. 62

Die große Finanzkrise hat unsere Vorstellungen von Wirtschaft durcheinandergewirbelt. Einige wirklich große Ökonomen helfen, die Entwicklungen zu verstehen - Die wichtigsten Krisenbücher - Die 50 wichtigsten Wirtschaftsbücher aller Zeiten (Frankfurter Buchmesse Spezial)

Die große Finanzkrise hat seit dem Kollaps der US-Investmentbank Lehman Brothers eine Flut von Büchern hervorgebracht, die auf der Welle der Empörung gegen gierige Banker ritten. Die meisten von ihnen sind schon wieder vergessen. Nicht so das Buch, dem Hans-Werner Sinn mit seinem Gespür für Schlagworte den Titel "Kasino-Kapitalismus" gab. Obgleich schon 2009 erschienen, ist es bis heute aktuell geblieben.

Der international wohl anerkannteste deutsche Ökonom verwirft simple Erklärungen wie das Versagen der Geldpolitik oder ein übertriebenes Sparen in den aufstrebenden Schwellenländern. Stattdessen dringt er mit der ihm eigenen analytischen Kraft zum Kern der Krise vor. Sinn geißelt wie andere auch das "Glücksrittertum" in den Chefetagen der Großbanken, aber er bleibt dabei nicht stehen.

Sinn weist vielmehr nach, dass es für die Banken durchaus rational war, im globalen Kasino mitzuspielen. Sie wussten, dass sie mögliche Verluste sozialisieren konnten. Eine mangelhafte Regulierung des Finanzsystems habe den Banken erst die immer riskanteren Geschäfte mit immer weniger Eigenkapital ermöglicht. Auch die Mitschuld der Bankkunden, etwa der Hypothekenkreditnehmer in den USA, lässt der Münchener Ökonom nicht unter den Tisch fallen. Es ist also ein umfassendes Versagen, das in die Finanzkrise führte - sowohl in den Banken als auch bei deren Kunden, in der Politik, in der Finanzaufsicht und bei den Ratingagenturen.

Letztlich führt Sinn das auf ein ordnungspolitisches Problem zurück: Das globale Finanzsystem ist nicht hinreichend reguliert, weil es keinen globalen Ordnungsrahmen für den Wettbewerb zwischen den Staaten gibt. Ein Staat hat keinen Anreiz, seine Banken strengeren Regeln zu unterwerfen, damit sie keine Schrottpapiere in alle Welt verkaufen. Somit entsteht ein "Laschheitswettbewerb", in dem nachlässige Regulierung das Wuchern der Finanzindustrie provoziert.

Sinn schlägt in seinem Buch Wege zu einem besseren Bankensystem vor. Für ihn sind weder Bad Banks noch eine dauerhafte Beatmung angeschlagener Banken mit Zentralbank-Liquidität eine Lösung. Der überzeugte Marktwirtschaftler plädiert stattdessen dafür, Banken zur Not vorübergehend ganz oder teilweise zu verstaatlichen, wie es etwa Schweden in den neunziger Jahren gemacht hat. Kontrollieren soll sie eine neue Bankaufsicht unter dem Dach der Europäischen Zentralbank. Außerdem fordert Sinn konservativere Bilanzregeln, eine Bändigung von Schattenbanken, ein Verbot von Leerverkäufen, eine Beschränkung von Verbriefungen und ein neues Geschäftsmodell für Ratingagenturen.

Die blinde Marktgläubigkeit der Chicagoer Schule ist an die Wand gefahren, der Ordoliberalismus deutscher Schule ist die bessere Alternative. Ob sich die gebändigte Marktwirtschaft kontinentaleuropäischer Prägung aber gegen den angelsächsischen Finanzkapitalismus und den staatlich gelenkten Kapitalismus Chinas durchsetzen kann, ist offen.

Hans-Werner Sinn: Kasino-Kapitalismus. Wie es zur Finanzkrise kam und was jetzt zu tun ist. 2009, Ullstein, 472 Seiten, 12,95 Euro.