Primus mit Schönheitsfehlern

Presseecho, FAZ, 20.10.2017.

Sachsen gilt in mancher Hinsicht als Vorzeigeland. Doch seit einiger Zeit holt es nicht mehr auf.

Politisch ist Sachsen ins Trudeln geraten mit dem angekündigten Rücktritt des Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich wegen des schwachen CDU-Ergebnisses bei der Bundestagswahl. Wirtschaftlich geht es Sachsen im Vergleich mit den anderen Ost-Ländern gut, was sich die dort seit 1990 regierende CDU als Erfolg anheftet. Die Arbeitslosenquote ist auf 6,2 Prozent gefallen, nach Thüringen der zweitbeste Wert im Osten und bester Stand seit der Wiedervereinigung. Sachsens Verschuldung ist die geringste aller Bundesländer. Die Regierung verbreitet Optimismus, dass es weiter aufwärtsgeht.

Allerdings teilen nicht alle den Optimismus. "Sachsen steht im Ost Vergleich gut da, doch die Lücke zum Westen ist immer noch groß und schließt sich nicht", sagt Joachim Ragnitz, stellvertretender Leiter der Ifo-Instituts in Dresden. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) je Einwohner in Sachsen stagniert bei etwa 70 Prozent des West-Niveaus, die verfügbaren Einkommen liegen etwas über 80 Prozent des West-Durchschnitts.

Zwar gibt es die drei Städte Leipzig, Dresden und Chemnitz, die wirtschaftlichen Leuchttürme des Freistaats, die mit guten Zahlen glänzen. In Leipzig hat sich die Automobilindustrie mit Werken von BMW und Porsche etabliert, zudem gibt es die Logistik. Dresden ist das in Europa führende Zentrum der Halbleiterindustrie mit Namen wie Siemens und AMD, wobei die Chipfabriken bei sinkenden Preisen immer wieder unter Druck geraten. In Chemnitz gibt es eine starke Maschinenbautradition, allerdings mit eher kleinen Unternehmen. "Abseits dieser starken Städte gibt es aber auch die strukturschwachen peripheren Gebiete, Teile der Lausitz, Nordsachsen und das Erzgebirge, die den sächsischen Durchschnitt herunterziehen", resümiert Ifo-Forscher Ragnitz. In der Bundestagswahl erreichte die AfD gerade in der Ostlausitz in den Grenzregionen zu Tschechien und Polen besonders starke Ergebnisse - was die CDU schwer getroffen hat.

Selbst die einstigen wirtschaftlichen Leuchttürme strahlen nicht mehr ganz so hell, sagt Oliver Holtemöller, Vizechef des IWH-Instituts in Halle. "Klar, gegenüber Mecklenburg-Vorpommern oder Sachsen- Anhalt steht Sachsen deutlich besser da. Aber auffällig ist: Bis etwa 2005 hat sich Sachsen super entwickelt, und das BIP je Kopf holte gegenüber dem Westen auf, doch seitdem fällt es etwas zurück und liegt, auch in Dresden, unter dem Bundesdurchschnitt", sagt er.

Zwei Faktoren halten Sachsen zurück: zum einen die demographische Entwicklung, die Abwanderung besser Qualifizierter und die geringe Zuwanderung von jüngeren Qualifizierten, daraus resultierend eine Alterung der Gesellschaft. Zum anderen hinkt die Forschungs- und Entwicklungstätigkeit der privaten Wirtschaft in Sachsen wie im ganzen Osten hinter dem Westen hinterher. Zwar ist die F&E-Ausgabenquote von 3 Prozent des BIP in Sachsen gut, was an der öffentlichen Forschung an den Universitäten
liegt. "Aber am Technologietransfer in die Privatwirtschaft und an der Umsetzung in Produkte hapert es noch", sagt Ragnitz. Er empfiehlt der sächsischen Regierung, weiter ihre Bildungs- und Innovationsstrategien zu verbessern. Immerhin schneidet das sächsische Bildungssystem gut ab. Im aktuellen Bildungsmonitor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) liegt Sachsen sogar auf Platz eins aller 16 Bundesländer. Die sächsischen Schüler haben demnach die höchsten Lesekompetenzen. Auch bei den Vergleichstests in Mathematik und Naturwissenschaften lagen Sachsens Schüler vorn.

Gute Noten erhielt das Land auch für seine Hochschulen. Mängel gibt es aber auch, etwa die zu hohe Schulabbrecherquote unter ausländischen Jugendlichen oder eine überalterte Lehrerschaft. Ungeachtet dieser Schönheitsfehler gilt die seit der Wiedervereinigung von CDU-Ministern verantwortete sächsische Bildungspolitik, die auch stark nach Bayern blickte, als erfolgreich. Ifo- Forscher Rangnitz hat aber auch hier einiges zu bemängeln. Sachsen bildet viele Studenten aus, doch fehle es an Arbeitsplätzen für Hochqualifizierte. "Viele junge Ingenieursabsolventen werden von den Hightech- Zentren im Südwesten direkt abgeworben", sagt er. Nötig sei es, die berufliche Bildung zu stärken.