Die Reformer gewinnen

Presseecho, Handelsblatt, 06.01.2006, 9

Handelsblatt-Liste der Wirtschaftsbestseller

Von Christoph Moss, Regina Krieger

Die aktuelle Handelsblatt-Liste der Wirtschaftsbestseller: Bücher über den ökonomischen Zustand der Republik sind besonders gefragt.

HB DÜSSELDORF.Da sage mal einer, die Deutschen seien Reformmuffel. Ausgerechnet die Vertreter der Wachrüttler- und Mahnerfakultät haben im Dezember mit ihren Elaboraten mächtig Punkte auf der Handelsblatt-Bestsellerliste gemacht.

Politikberaterin Gertrud Höhler nimmt mit "Jenseits der Gier" sogar die Spitze ein. Und selbst Hans-Werner Sinn und Meinhard Miegel, die im Vormonat gar nicht auf der Liste der zehn meistverkauften Wirtschaftstitel vertreten waren, finden nun Beachtung.

Höhler, Sinn, Miegel - dass Bücher über den ökonomischen Zustand der Republik derzeit besonders gefragt sind, ist bemerkenswert. Häufig geben Management-Bibeln den Trend vor: Autoren wie Jack Welch oder Werner Küstenmacher senden positive Signale. Sie motivieren den Leser zur Aktivität und sorgen für ein angenehmes Grundgefühl. Das ist gut für die Psyche - und für die Auflage.

Gertrud Höhler aber prangert Raffsucht und Egoismus an. Und Hans-Werner Sinn vertritt die wenig angenehme These von der "Basar-Ökonomie".

Deutschland, so behauptet der Präsident des Münchener Ifo-Instituts, verkommt wegen zu hoher Löhne zu einer Art Handelsdrehscheibe. Auf den Produkten steht zwar "made in Germany", in Wirklichkeit wird in Germany aber nur noch billig eingekaufte Auslandsware endmontiert. Auch wenn die These wenig erfreulich klingt und heftig umstritten ist: Sinns Buch bringt es im Dezember auf Platz drei der Bestsellerliste.

Zu den regelmäßigen Mahnern zählt auch Meinhard Miegel. Er habe zwar keine Negativbotschaft zu verkünden, betont der Rentenexperte bei jeder Lesung. Und doch klingen die Aussagen seines Buchs "Epochenwende" geradezu apokalyptisch. Eine 500-jährige Entwicklung, während der Europa unangefochten die Spitzenposition innehatte, ist zu Ende, konstatiert der Leiter des Bonner Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft.

Wachstum, Wohlstand, Erwerbsarbeit und soziale Gerechtigkeit sind nicht mehr selbstverständlich. Junge Menschen aus anderen Kontinenten drängen auf den Weltarbeitsmarkt, während in den europäischen Ländern immer weniger Kinder geboren werden.

Miegels Buch ist eine brillante und schonungslose Zustandsbeschreibung. Akribisch hat er Daten zusammengetragen, um den düsteren Zustand des ehemaligen "Erfolgsmodells Europa" aufzuzeigen. Er spart auch nicht mit Politikerschelte. Der Wahlkampf sei "Wortgeklingele" gewesen, da inhaltlich eine Gesellschaft vorausgesetzt wurde, die längst nicht mehr existiere.

Nach der Lektüre allerdings bleibt Ratlosigkeit, denn es fehlen konkrete Lösungsvorschläge. Die "Rückbesinnung auf die Tugenden der Beschränkung und des Ausgleichs", wie sie Miegel fordert, ist nichts als ein frommer Wunsch. Offenbar aber trifft das Buch den Zeitgeist. Miegel ist gesuchter Gast in Talkshows, füllt bei Lesereisen die Säle und landet auf Platz sieben der Handelsblatt-Liste.