Irrweg Fiskalunion: Gemeinsame Kassen lösen die Probleme der Euro-Zone nicht

Hans-Werner Sinn

Presseartikel, WirtschaftsWoche, 14.08.2015, S. 35.

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Seit seiner Einführung wird der Euro von der Forderung begleitet, dass eine Währungsunion eine politische Union brauche. Geht es nach Politikern wie dem französischen Präsidenten François Hollande soll die nun tatsächlich kommen - mit einer gemeinsamen Steuer, einem eigenen Finanzminister und einem eigenen Budget. Das aber führt nicht zu einer politischen Union, sondern zu einer Fiskalunion. Und die macht alles nur noch schlimmer.

Eine wirkliche politische Union würde nicht mit dem gemeinsamen Geld beginnen, sondern mit einem gemeinsamen Machtzentrum, das die Entwicklung eines einheitlichen Staatswesens ermöglicht. Dazu gehören eine gemeinsame Justiz, eine gemeinsame Regierung, ein Parlament mit gleichen Stimmrechten für alle, eine gemeinsame Außenpolitik und vor allem eine gemeinsame Armee. So war es in den USA, und so war es in der Schweiz. Wenn die deutsche Politik mutig ist, wird sie Hollande beim Thema Armee festnageln, bevor es weitergeht. Dann kann er zeigen, ob er es ernst meint mit Europa oder nur an das Geld anderer Leute heran will.

Europa hat nun schon die gemeinsame Währung, und weil die nicht funktioniert und die Völker Europas gegeneinander aufbringt, soll jetzt der Kitt eines Umverteilungssystems alles zusammenhalten. Das ist nicht unplausibel. Es liegt sogar in der Logik der bisherigen Entwicklung, und die lief so:

Nachdem der Euro eine Party mit geliehenem Geld steigen ließ, kam die Wettbewerbskrise. Viele Länder hatten über ihre Verhältnisse gelebt, waren zu teuer geworden und konnten ihre Waren nicht mehr verkaufen. Die Gläubiger rochen Lunte. Sie wollten ihr Geld zurück. Da warfen die Schuldner die Druckerpresse an, um die Gläubiger auszuzahlen. Da das prima funktionierte, druckte man gleich so viel Geld, dass man damit auch noch deutsche Autos und südkoreanische Fernsehapparate kaufen konnte. Auch die Bundesbank musste über das interne Verrechnungssystem der Notenbanken viele Griechen- und Italien-Euros in deutsche Euros umtauschen. Die Süd-Euros stehen bis heute zu Hunderten von Milliarden Euro als Forderung an das Euro-System (Target-Saldo) in ihrer Bilanz.

Der Club Med hatte nun freilich die Europäische Zentralbank (EZB) statt der privaten Gläubiger am Hals. Die bedrängte die Politik, sie herauszuhauen und selbst Kredit zu gewähren. Das klappte. Es sprangen dabei für den Club auch noch genug Nord-Euros zum Leben ab.

Nun stören freilich die Schulden bei den Rettungsschirmen. Aber die sind nicht so schlimm wie die Bankschulden, mit denen alles anfing. Statt sich mit den harten Burschen beim Pariser Club herumzuschlagen oder vor US-Gerichten zu bestehen, braucht man mittlerweile offenbar nur ein paar Demonstranten anzustacheln, um das Problem einer Lösung zuzuführen.

Die Politiker des Nordens stehen nun vor der Alternative, ihren Wählern zu erklären, dass das Geld weg ist - oder sie von Europa träumen zu lassen und ihnen im Schlaf das Geld aus der Tasche zu ziehen, das die Schuldner brauchen, um ihre Zinsen zahlen zu können. Das nennt sich dann Fiskalunion.

Das Schöne an einer Fiskalunion ist, dass man neue Schulden machen darf. Denn wo eine Steuer ist, ist auch ein Finanzminister, der erklären kann, welche Zinslasten es zu bedienen gilt. Er beschafft sich ein paar Volkswirte, die ihm genau ausrechnen, wie viele Schulden drin sind. Mit den Schulden lassen sich dann auch Transfers, die man für die Fiskalunion braucht, finanzieren.

Sind die Schulden erst einmal gemacht, werden neue Umpackaktionen schwierig. Dann ist Ideenreichtum nötig, um die Steuerschraube anziehen zu können. Es könnte sein, dass die Steuerzahler meutern, und dann wird es für die Politik ganz eng.

Die USA hatten nach Alexander Hamiltons Schuldensozialisierung und der nächsten beim Krieg gegen Britannien 1813 gerade mal 22 Jahre, weniger als vom Maastrichter Vertrag bis jetzt, bis die gemeinsame Kasse platzte und in einem großen Schuldenstreit endete, der das ganze System in den Konkurs trieb. Es brauchte dort einen Bürgerkrieg, bis wieder Vernunft im Fiskalsystem eingekehrt war und man sich auf das besann, was einen gemeinsamen Staat wirklich ausmacht: nicht die Fiskalunion, nicht die Schuldenunion, sondern eine wirkliche politisch-militärische Union - mit getrennten Kassen der Einzelstaaten.