"Unsere Energiewende hilft der Umwelt kein bisschen"

Hans-Werner Sinn

BILD, 23. Juni 2022, S.2.

Weil die Sonne keine Rechnung schickt, sei die grüne Energie billiger als die konventionelle Energie. Wachstum, materieller Wohlstand und Umweltqualität würden gleichermaßen verbessert.

Das ist ein Widerspruch in sich, denn wenn die grüne Energie billiger wäre, dann würden die Menschen sie von ganz allein wählen. Tatsächlich muss der Staat sie erzwingen, indem er konventionelle Energien verbietet oder künstlich verteuert. Das befeuert die Inflation und senkt den materiellen Lebensstandard. Schon heute hat Deutschland wegen des hohen Anteils der erneuerbaren Energien neben Dänemark die höchsten Stromkosten der Welt.   

Und ob der Umweltnutzen überhaupt kommt, ist mehr als fraglich, wenn Europa allein handelt, wie es das mit seiner rabiaten Politik zur Zurückdrängung der Verbrennungsmotoren tut. Damit das hierzulande nicht mehr verbrannte Erdöl zu einer Entlastung der Atmosphäre führt, müsste es Europa auf seinem Territorium  lagern und versiegeln - ein absurder und teurer Gedanke.  Tatsächlich gibt Europa die nicht mehr gekauften Mengen für die Weltmärkte frei. Die  Tanker liefern sie nun eben nach China und andere Länder, die sich nicht zur CO2-Einsparung verpflichtet haben. Wie sich empirisch zeigen lässt, gelangt dort ziemlich genau so viel mehr an CO2 in die Luft, wie wir einsparen. Wir ruinieren die deutsche Automobilindustrie, fördern unsere fernöstlichen Konkurrenten und helfen der Umwelt nicht einmal ein bisschen.

Europa handelt nicht allein, weil 191 Länder den Pariser Klimaschutzvertrag unterschrieben haben? Schön wäre es! Tatsächlich hat sich nur etwa ein Drittel dieser Länder (61) zu bindenden Einsparungen beim CO2 verpflichtet. Die anderen zwei Drittel haben applaudiert, dass das erste Drittel zugesagt hat, ihnen den Brennstoff zu überlassen. Die europäische Naivität ist nicht zu überbieten.  

Aber wir werden doch vom Ausland unabhängiger, wenn E-Autos mit selbst gemachtem Grünstrom fahren? Nicht einmal diese Behauptung stimmt, denn wenn die Stromproduktion mit Hilfe von Wind- und Sonnenstrom ausgedehnt wird, damit auch der Verkehr elektrisch wird, brauchen wir auch mehr konventionelle Kraftwerke, um die manchmal wochenlangen Dunkelflauten ausfüllen zu können. Da Deutschland aus der Kohleverbrennung und der Atomkraft zugleich aussteigt, müssen Gaskraftwerke diese Arbeit leisten. Damit jedoch vergrößern die E-Autos die Abhängigkeit von Russland.

Richtig ist, dass langfristig grüner Wasserstoff während der Dunkelflauten für die Stromproduktion eingesetzt werden kann. Aber auch der lässt sich nicht gut aus Wind- und Solarstrom herstellen, weil der zu flatterhaft ist. Der Wasserstoff wird deshalb aus den  vielen neuen Atomkraftwerken kommen, die Frankreich gerade zu bauen beschlossen hat und die von der EU, oh Schmach, als „grün“ bezeichnet werden. Da ist es dann doch wohl besser, die Reißleine zu ziehen und die deutsche Energiepolitik grundlegend zu überdenken. Noch stehen die letzten Atomkraftwerke.

Der Autor (74) war Chef des ifo Instituts und zählt zu den einflussreichsten Ökonomen Europas.

Mehr Beiträge zu diesem Thema:

"Kein Alleingang in der Klimapolitik", Neue Züricher Zeitung, 19. Februar 2022, Nr. 42, S. 28.

Sechs Probleme der globalen Energiewende, 4pi-Klima-Symposium, 13.-14. Mai 2022, ca. 60 Minuten, siehe ab Minute 45:20.

 

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