„Warum die Bankenkrisen nicht aufhören“

Jens Münchrath et al., Handelsblatt, 24. März 2023.

Die Rettungsaktionen der Staaten und der Vertrauensverlust an den Märkten zeigen, wie krisenanfällig das Bankensystem nach wie vor ist. Doch wie machen wir unsere Banken sicher?

  • Weltweit versuchen Aufseher und Politiker die Ängste vor einer neuen Bankenkrise zu dämpfen. Doch die Pleite der Silicon Valley Bank und die Notfusion von UBS und Credit Suisse waren noch nicht das Ende.
  • Auch nach den Erfahrungen von 2008 ist es nicht gelungen, die Banken so zu regulieren, dass nicht immer wieder Risiken von der Branche ausgehen.
  • Dabei liegen Ideen für wirksame Reformen längst vor. Die Banken brauchen nun nicht weniger sondern mehr Regulierung.

Manchmal wohnt dem Zufall etwas Schicksalhaftes inne. Ausgerechnet am Montag vergangener Woche, dem Tag nach der dramatischen Rettung der Credit Suisse, war Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) mit Topmanagern deutscher Finanzinstitute verabredet. Der sogenannte „CEO roundtable“ war seit Monaten geplant. Doch nun kam im Ministerium die Sorge auf, das Treffen könne als eilig einberufene Krisenrunde gedeutet werden. Was also tun? Absagen könnte womöglich für noch mehr Aufsehen sorgen. Man entschied sich dagegen.

Und so saß Lindner am Montag, 20. März, im „Matthias-Erzberger-Saal“ seines Ministeriums zusammen mit Christian Sewing, Chef der Deutschen Bank, Manfred Knof, Vorstandsvorsitzender der Commerzbank, Theodor Weimer von der Deutschen Börse und einer Reihe weiterer Manager.

Auch wenn Nervosität an den Märkten selbstverständlich Thema war, galt, was immer gilt in solchen nervösen Extremsituationen, wo die Psychologie schnell zum entscheidenden Faktor werden kann: Ruhe bewahren, nichts anmerken lassen. Und so diskutierte die Runde die meiste Zeit wie geplant über Digitalisierung und Nachhaltigkeit in der Finanzbranche.

Zwei Tage später Frankfurt am Main. Auf dem „Derivates Forum“ der Deutschen Börse, wo sonst über Spezialthemen wie die Abwicklung von Termingeschäften debattiert wird, wollen die 750 Teilnehmer im Kongresszentrum nur eines wissen: Wie Finanzstaatssekretär Florian Toncar Bankenkrisen in den USA und der Schweiz bewertet und welche Konsequenzen diese nach sich ziehen. „Wir müssen wachsam sein, aber nicht verängstigt“, sagt Toncar. Die Schweiz habe bei der Rettung der Credit Suisse „einen guten Job gemacht“.

Nun müsse man die Lage in Ruhe analysieren und dann über mögliche Schlussfolgerungen debattieren. Großen Änderungsbedarf sieht Toncar aber nicht. In der EU habe es schließlich – anders als in den USA unter dem ehemaligen Präsidenten Donald Trump – keine Deregulierung des Finanzsektors gegeben, sagt der FDP-Politiker.

Bankenkrise: Keine Normalität mehr in der Bankenwelt

Beschwichtigen, Runterspielen, Unterschiede betonen – das ist die Antwort der politisch Verantwortlichen auf die Bankenkrise, die in den vergangenen zwei Wochen wie ein Orkan über die globalen Finanzmärkte fegte. Doch ein Problem verschwindet nicht dadurch, dass man es ignoriert. Was sich allein am Freitag erneut zeigte, als die Aktien europäischer Banken zweitweise zweistellig abstürzten – allen voran die Titel der Deutschen Bank.

Und so kann auch die betonte Gelassenheit von Politik und Regulierern nicht darüber hinwegtäuschen: Normal ist in der Bankenwelt nichts mehr – seitdem die Silicon Valley Bank, ein eher kleines Spezialinstitut aus Kalifornien, in Not geriet und US-Notenbank und US-Regierung sich genötigt sahen, für deren Einlagen zu garantieren und ein großzügiges Notprogramm zur Sicherung der Bankenliquidität aufzulegen.

Normal ist nichts mehr, seitdem sich die Schweizer Behörden entschieden, die Credit Suisse, eine der 30 systemrelevanten und entsprechend eng beaufsichtigten Großbanken weltweit, mit der UBS zwangszufusionieren – natürlich unter Einsatz gigantischer staatlicher Garantien. Ergebnis der Notoperation: eine Bank, deren Bilanzsumme mehr als doppelt so groß ist wie die Wirtschaftsleistung der Schweiz, eine Bank, die nicht nur too big to fail, sondern auch too big to bail ist.

Soll heißen: nicht nur zu groß also, als dass man sie fallen lassen könnte, sondern auch zu groß, als dass der Staat sie retten könnte. Dass die Schweizer Krisenmanager bei ihrer Rettungsaktion dann auch noch die Haftungsreihenfolge tauschten und Aktionäre gegenüber Anleihegläubigern bevorzugten, trug nicht unbedingt zur Vertrauensbildung bei.

Credit Suisse: Beerdigung innerhalb weniger Stunden

Die 167 Jahre alte Credit Suisse wurde innerhalb weniger Stunden beerdigt – und die globale Finanzwelt blickt ebenso erstaunt wie fassungslos auf die Entwicklungen in der kleinen Schweiz, aber auch in den USA.

 
15 Jahre nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers, die das Weltfinanzsystem an den Rand des Abgrunds führte, müssen wieder Banken gerettet werden. „Es gibt wieder dieses Gefühl des Jahres 2008“, sagt Kenneth Rogoff. Sein Kollege aus Princeton, Markus Brunnermeier, beklagt, es habe sich seit 2008 einiges, aber zu wenig geändert, der Staat müsse Bankpleiten abfedern. Mehr noch: „Für Amerika wäre ich nicht überrascht, wenn die Regierung sich noch gezwungen sieht, eine allgemeine Einlagengarantie auszustellen.“

Umso drängender stellt sich jetzt die Frage, wie ein Banksystem gestaltet sein muss, damit es nicht immer wieder zu diesen Krisen kommt. Krisen, in denen gigantische Summen an Steuergeldern zur Rettung von Banken ausgegeben werden. In denen Gewinne privatisiert, Verluste dagegen kollektiviert werden. Krisen, die schließlich das Vertrauen in die Marktwirtschaft erschüttern.

Natürlich gibt es Unterschiede zur großen Finanzkrise des Jahres 2008. Dieses Mal sind es nicht hochspekulative, toxische Subprime-Papiere, mit denen amerikanische Investmentbanken das Weltfinanzsystem vergiften. Dieses Mal geht die Gefahr von der Staatsanleihe aus, dem wichtigsten Vehikel des globalen Finanzsystems, weil die Zinswende zu einem Wertverlust jener Bonds führt, die in großer Dimension in den Bilanzen der Banken stecken.

Will heißen: Die jetzige Vertrauenskrise hat eine andere Qualität, was aber nicht zwingend heißt, dass sie beherrschbarer ist. Ökonomen wie Hans-Werner Sinn fordern klare Konsequenzen aus dieser Krise: „Die Banken brauchen mehr Eigenkapital und mehr Sicherheitspuffer, damit sie die Haftung für Fehlverhalten selbst tragen können, anstatt sie auf andere zu verlagern, und solidere Geschäftsmodelle wählen“, sagt Sinn dem Handelsblatt. Wir bräuchten endlich „eine wirksame Bankenregulierung, um den Kasino-Kapitalismus einzudämmen“.

Tatsächlich wächst mit der Angst vor solchen Krisen auch die Bereitschaft, größere Reformen anzugehen. So bringen Finanzexperten inzwischen auch deutlich härtere Vorschläge ins Spiel, die über die geplanten EU-Gesetzespakte, die die Vorgaben des internationalen Basel-Ausschusses der Bankenaufseher in Europa umsetzen sollen, hinausgehen. Vorschläge, die auf den ersten Blick radikal wirken. Aber darunter finden sich auch Regeln, die in Ländern wie Großbritannien seit Jahren Alltag sind und mit denen die Banken in den USA viele jahrzehntelang gelebt haben.

1. Deutlich mehr Eigenkapital für Bank

Auch Gerhard Schick, Ex-Finanzexperte der Grünen im Bundestag und Gründer der Bürgerbewegung Finanzwende, weiß, dass es ein absolut sicheres Bankensystem nicht geben kann. Aber der erklärte Bankenkritiker ist auch überzeugt davon, dass der Status quo keine Option ist.

Die Meinung Schicks werden die wenigsten Banker teilen, auch im Finanzministerium dürften seine Vorschläge auf wenig Verständnis stoßen. Aber an seiner Fachkompetenz hatten zu seiner Zeit als Parlamentarier auch die politischen Gegner keine Zweifel. Für Schick geht es beim Sicherheitscheck für die Banken erst einmal um deutlich höhere Eigenkapitalquoten.

Doch Kapital ist nicht gleich Kapital, wenn es um Banken geht. Es gibt zwei Wege, die Eigenkapitalausstattung der Geldhäuser zu messen: die eine berücksichtigt die Risiken, die andere setzt – wie das auch bei anderen Unternehmen üblich ist – das Eigenkapital einfach ins Verhältnis zum Geschäftsvolumen.

Bei der ersten Variante, im Fachjargon Common Equity Tier 1 (CET 1) genannt, werden alle Vermögenswerte der Bank mit einem Risikofaktor multipliziert. Je riskanter ein Bankgeschäft ist, desto höher ist das Risikogewicht. Die Summe der risikogewichteten Aktiva liegt in der Regel deutlich unter der Bilanzsumme.

Diese Methode wurde einmal eingeführt, um zu verhindern, dass Banken übermäßig riskante Geschäfte eingehen. Die europäische Staatsschuldenkrise zeigte allerdings, dass es auch bei vermeintlich sicheren Investments, nämlich Staatsanleihen, Risiken geben kann. Als Konsequenz daraus führten die Bankenaufseher zusätzlich zur CET1-Quote mit der Leverage Ratio eine Eigenkapitalkennziffer ein, die der Eigenkapitalquote normaler Unternehmen ähnelt.

Bankenkritiker wie Schick monieren, dass die Geldhäuser mit der Risikogewichtung ihre Bilanzen schön rechnen können, deshalb setzt er auf die Leverage Ratio oder Verschuldungsquote, die das Eigenkapital ins Verhältnis zur gesamten Bilanzsumme setzt. Die Minimalanforderungen liegen im Euroraum bei drei Prozent, durch regulatorische Aufschläge kommen Großbanken auf vier bis fünf Prozent. Die Deutsche Bank erreicht derzeit beispielsweise eine Leverage-Quote von 4,6 Prozent, vor zehn Jahren waren es erst 3,1 Prozent.

Schick räumt ein, dass die großen Banken Fortschritte gemacht haben. „Aber dass man angefangen hat zu putzen, heißt ja noch lange nicht, dass das Haus sauber ist“. Der Experte glaubt, dass nur eine deutlich bessere Eigenkapitalausstattung mit einer Leverage Ratio von zehn bis 15 Prozent die europäischen Großbanken sicherer machen kann.

Das wäre teuer für die Banken – „und für die Kunden“ meint ein Frankfurter Banker, der sich in der aktuellen Situation nicht mit Namen zitieren lassen will. Höhere Eigenkapitalquoten würden bedeuten, dass die Kreditkosten für Privatkunden und Unternehmen deutlich steigen müssten und die Einlagenzinsen noch niedriger ausfielen.

„Aber man muss das ja nicht über Nacht machen“, meint Schick, und er rechnet vor, dass die Credit Suisse trotz Verlusten in den vergangenen zehn Jahre 32 Milliarden Franken an Boni ausgeschüttet habe. Dieses Geld hätten die Schweizer nach Schicks Meinung besser für die Stärkung des Eigenkapitals verwendet.

2. Eigenkapital auch für Staatsanleihen

Markus Brunnermeier gehört zur seltenen Kategorie: pragmatischer und eher zurückhaltender Ökonom mit Weltgeltung. Beim Thema Staatsanleihen – und warum Banken für die Papiere kein Eigenkapital hinterlegen müssen, redet sich der Ökonom, der seit 1999 in den USA lebt, in Rage: „Ich argumentiere seit Langem dafür, dass sich hier etwas ändert – vergebens“, sagt Brunnermeier. Eine Risikogewichtung von Null für alle Staatspapiere sei ein „großer Fehler“. Es gebe auch in Europa viele Ökonomen, die das kritisieren.

Bei der europäischen Bankenregulierung muss dringend nachgeschärft werden, fordert auch Florian Heider, Direktor des Leibniz-Instituts für Finanzmarktforschung (SAFE) in Frankfurt, der zuvor 18 Jahre in leitenden Positionen bei der Europäischen Zentralbank tätig war. Neben der vollständigen Absicherung der Einlagen geht es vor allem auch um Eigenkapitalforderungen für Staatsanleihen. „Seit 2008 hat zu diesen Verbesserungen der politische Wille gefehlt. Jetzt ist die Aufmerksamkeit so groß, dass dort gehandelt werden sollte“, sagt Heider.

Tatsache ist: Sowohl Politik als auch Banken haben sich in dieser Welt eingenistet: Die Staaten sorgen für ein angenehmes regulatorisches Umfeld, sodass die Banken auch weiterhin in Staatsanleihen investieren. Und die Banken freuen sich über die regelmäßigen Zinseinnahmen aus den Bonds, für die sie nicht einmal Kapital hinterlegen müssen. Perfekt ist die Symbiose.

Die offizielle Rechtfertigung für diese Politik lautet: Staatsanleihen seien sicher. Die Finanzgeschichte allerdings ist eine Geschichte der Staatspleiten – und spätestens seit der Griechenland-Schuldenkrise, wo die Anleihe-Gläubiger gleich zwei Schuldenschnitte verkraften mussten, dürfte auch dem letzten Optimisten klar geworden sein: Staatsanleihen sind nicht sicher.

Tatsächlich halten Bundesfinanzministerium und die Bundesbank es seit der Euro-Krise für einen Fehler, Staatsanleihen als risikolos zu bewerten. Auch die Pleite der Silicon Valley Bank hatte ihren Ursprung darin, dass Anleihen, welche das Institut hielt, durch die Zinswende an Wert verloren.

Doch die Forderung, Staatsanleihen mit einem Risikopuffer zu versehen, stößt vor allem bei südeuropäischen Staaten auf Ablehnung – sie sind in besonderem Maße darauf angewiesen, dass ihre Banken ihnen ihre Staatsanleihen abkaufen. Deshalb dürfte hier so schnell auf EU-Ebene nichts vorangehen.

Dabei würde eine Pflicht zur Eigenkapitalhinterlegung gleich mehrere Probleme lösen: Erstens müssten die Banken insgesamt mehr Kapital vorhalten. Zweitens hätten die Institute einen Anreiz, genauer hinzuschauen, welche Staatsanleihen sie sich in die Bücher legen. Das heißt, am Ende hätten die Finanzminister einen größeren Anreiz, solide zu haushalten.

Auch José Manuel Campa, Chef der EU-Bankenaufsichtsbehörde EBA, zeigt Sympathie für einen strengeren Umgang mit Staatsanleihen. Ihm ist vor allem wichtig, dass Banken nicht nur in Anleihen ihrer Heimatstaaten investieren, sondern auch in Staatsanleihen anderer EU-Staaten. „Das wäre gut für die Bankenunion“, sagt er.

Aus Sicht von Andrea Enria, Chef der EZB-Bankenaufsicht, gibt es auch bei der Bilanzierung von Anleihen durchaus Reformbedarf. Es geht um die Art, wie Banken Anleihen bilanzieren, die ihnen als Liquiditätsreserve dienen, die sie im Zweifel also losschlagen wollen, um zum Beispiel ihre Kunden auszuzahlen.

Üblicherweise müssen diese Wertpapiere zu ihrem aktuellen Marktpreis bilanziert werden und Kursverluste abschreiben. In bestimmten Fällen können Banken auf solche Abschreibungen aber verzichten, indem sie erklären, dass sie diese Anleihen bis zum Ende ihrer Laufzeit behalten wollen.

„Wenn solche Vermögenswerte Teil des Liquiditätspuffers sind, muss man bereit sein, sie jederzeit am Markt zu verkaufen“, sagt Enria. Das bedeute für ihn, dass man diese Anleihen auch immer zum Kurswert bilanzieren sollte. „Das wäre in meinen Augen eine wichtige Verbesserung“, sagt der EZB-Bankenaufseher.

3. Trennbankensystem einführen

Es waren nur 30 Seiten, mit denen ein neues Gesetz unter US-Präsident Roosevelt 1933 klare Regeln für die Banken in den Vereinigten Staaten schuf. Der Glass-Steagall Act war eine Antwort auf die große Depression in den USA und schrieb die Trennung von Investmentbanken und Geschäftsbanken fest. Jahrzehntelang lebten die Wall-Street-Riesen mit diesen Regeln, aufgehoben wurde das Gesetz erst 1999, während der großen Deregulierungswelle.

2017 hätte Glass-Steagall unter der Ägide des nicht gerade als Bankenfresser verschrieenen US-Präsidenten Donald Trump beinahe eine Renaissance erlebt. Trump liebäugelte, wenn auch nur kurz, mit einer „Version des Trennbankengesetzes für das 21. Jahrhundert“.

Der erfahrene US-Aufseher Tom Hoenig hatte ein Konzept entworfen, nach dem Banken alle Geschäfte, die nicht der Einlagensicherung unterliegen, in Holdings ausgliedern müssten. Damit würde das Investmentbanking vom traditionellen Bankgeschäft getrennt. Die ausgelagerten Töchter sollten ein eigenständiges Management bekommen.

Doch Trumps Interesse am Trennbankensystem verschwand so schnell wieder, wie es aufgetaucht war. Nur kurz nachdem der Präsident die Idee öffentlich ventiliert hatte, kassierte sie sein damaliger Finanzminister Steven Mnuchin wieder: „Wir unterstützen keine Trennung von Banken und Investmentbanken“. Das wäre ein „großer Fehler“ mit schlimmen Folgen für Finanzmärkte und die Konjunktur.

Bankenkritiker machen die Abschaffung von Glass-Steagall 1999 mit für die Finanzkrise von 2008 verantwortlich. Sie argumentieren, dass die Banken deswegen zu groß geworden seien, zu viele Risiken eingegangen sind und schließlich vom Staat gerettet werden mussten.

Andere Experten wie der ehemalige US-Notenbank-Chef Ben Bernanke glauben allerdings das Gegenteil. Bernanke meint, dass die Aufhebung des Trennbankengesetzes das Ausmaß der Krise begrenzt hat, weil einige in Schieflage geratene Investmentbanken wie Bear Stearns oder Merrill Lynch von großen Universalbanken wie JP Morgan Chase und Bank of America übernommen werden konnten.

4. Brandmauern in den Banken

„Edinburgh Reformen“, der Begriff klingt erst einmal harmlos. Dahinter verbirgt sich ein Projekt zur teilweisen Deregulierung des britischen Finanzmarkts mit dem Ziel, den schleichenden Niedergang der Londoner City seit dem Brexit zu stoppen. Bei dem Projekt, das der konservative Finanzminister Jeremy Hunt Ende 2022 auf den Weg gebracht hat, geht es auch um den Schutzwall, den die Briten nach der Finanzkrise errichtet haben – wenn auch mit geraumer Verzögerung.

Seit Anfang 2019 gilt für die Banken auf der Insel die sogenannte Ringfencing-Regel. Dabei müssen die Geldhäuser zumindest bankintern das Investmentbanking vom Geschäft mit Privatkunden und kleinen Unternehmen abschotten. Der interne Zaun soll das Geld der Sparer schützen. Ihre Einlagen sollen nicht zur Rettung der Investmentbanksparte eingesetzt werden, sollte die in Schwierigkeiten geraten.

Das kostete die britischen Banken Milliarden. Allerdings machte die Aufsicht in wesentlichen Punkten bereits vor Jahren Zugeständnisse. So können etwa Dividenden über die Brandmauer hinweg an die Mutter weitergereicht werden, sofern die Privatkundenbank über eine angemessene Kapitalausstattung verfügt.

Doch im Prinzip scheint sich das Konzept bewährt zu haben, denn auch Finanzminister Hunt will sich nicht völlig vom Ringfencing verabschieden. Lediglich die Schwelle, ab der die Abschottungsregel gilt, soll von 25 auf 35 Milliarden Pfund Einlagenvolumen steigen. Das betrifft vor allem mittelgroße Banken. Für die Branchengrößen wie Barclays, HSBC, Natwest und Lloyds gilt aber weiterhin das Trennungsgesetz.

Auch eine von der EU nach der Finanzkrise eingesetzte Expertengruppe unter Führung des ehemaligen finnischen Finanzministers und Notenbankchefs Erkki Liikanen hielt das Ringfencing für eine gute Idee.
In ihrem Abschlussbericht forderte die Gruppe 2012, riskantere Investmentbankinggeschäfte vom klassischen Bankgeschäft mit den Einlagen der Sparer und den Geschäften mit Unternehmen zu trennen.

Beide Bereiche sollten sich separat finanzieren und auch jeweils eigene Kapitalpolster anlegen. Umgesetzt wurden die Empfehlungen nie. „Unser Vorschlag hätte die Struktur von Banken klarer gemacht. Komplexe Strukturen machen es schwieriger, die Risiken einer Bank zu bewerten und Aktien und Schuldinstrumente korrekt zu bepreisen“, sagt Liikanen heute.

Fazit:

Die deutschen Banken wollen sich auf eine Diskussion um Konzepte wie deutlich höhere Eigenkapitalquoten, Eigenkapitalhinterlegung für Staatsanleihen, Trennbanken oder Ringfencing gar nicht erst einlassen. Zu groß ist die Angst, dass das in Brüssel diskutierte Regulierungspaket noch einmal aufgeschnürt wird.

Dort sind derzeit zwei große Gesetzespakete zum Bankensektor in Arbeit. Zum einen wird verhandelt, wie die Vorgaben des internationalen Basel-Ausschusses der Bankenaufseher in Europa umgesetzt werden. Dabei geht es um die Verschärfung der Eigenkapitalvorschriften für die Geldinstitute.

Dieses sogenannte „Bankenpaket“ ist auf der Zielgeraden: Die Verhandlungen zwischen dem Rat der 27 Mitgliedstaaten, der Kommission und dem Europaparlament sollen bis Ende Juni abgeschlossen sein. Durch die Bankenkrise gebe es „neues Momentum“, heißt es in Brüssel.

In ihren Verhandlungspositionen haben alle drei EU-Institutionen die Basel-Vorgaben allerdings bereits deutlich abgeschwächt. Unter anderem sollen Kredite an kleine und mittlere Unternehmen nicht mit zusätzlichem Eigenkapital unterlegt werden müssen. Auch für die Finanzierung von Wohnimmobilien sollen Ausnahmen gelten.

Würden die Basel-Regeln vollständig umgesetzt, wäre das zumindest ein bedeutender Schritt. Die Mindestkapitalanforderungen an die deutschen Banken würden um knapp 20 Prozent steigen. Die vorgeschlagenen Ausnahmen führen laut Bundesbank jedoch dazu, dass die Kapitalanforderungen nur um vier Prozent steigen. Die Bankenlobby hat in Brüssel also ganze Arbeit geleistet.

Die Frage ist nun, ob die Vorschläge unter dem Eindruck der Bankenkrise nachgeschärft werden. Im Moment gebe es keine Pläne, das Bankenpaket zu ändern, heißt es in der Kommission. Letztlich wird es davon abhängen, ob es neuen politischen Druck aus den Mitgliedstaaten oder dem Europaparlament gibt.

Der oberste Bankenaufseher der EZB, Andrea Enria, forderte die Politik diese Woche auf, die Basel-Regeln möglichst vollständig umzusetzen. Bei einer Anhörung im Wirtschaftsausschuss des Europaparlaments sagte er, nicht nur in den USA, auch in Europa habe man sich hier und da entschieden, von den internationalen Standards abzuweichen. Die Basel-Vorgaben seien „nicht die Bibel“, aber sie seien das Beste, was den Aufsehern eingefallen sei, um die Banken zu schützen.

„Mit Basel III liegt ein von langer Hand vorbereitetes und mit allen Seiten intensiv verhandeltes Reformpaket auf dem Tisch, das jetzt zügig verabschiedet werden sollte“, sagt auch Hilmar Zettler, Leiter Bankenaufsicht und Einlagensicherung bei der Privatbankenlobby BdB. Das nach der Finanzkrise entwickelte europäische Abwicklungsregime reiche im Ernstfall aus, um sicherzustellen, dass die Steuerzahler nicht mehr für eine Bankenrettung bezahlen müssten. Falls nach einer Verlustbeteiligung von Aktionären und Gläubigern noch erforderlich, würde der einheitliche europäische Abwicklungsfonds (SRB) die geordnete Abwicklung einer havarierten Bank finanzieren.

Der wahrscheinlich bislang spektakulärste Fall für den SRB war die Krise der sechstgrößten spanischen Banco Popular 2017. Das Geldhaus wurde allerdings nicht abgewickelt, sondern der SRB unter der Führung der deutschen Elke König orchestrierte eine Übernahme für einen symbolischen Euro an den Konkurrenten Santander. 40 große Investoren, die bei der Rettung ihr Geld verloren, klagten dagegen. Der SRB behielt vor Gericht recht.

Für König hat sich das Abwicklungsregime damit in der Praxis bewährt. Allerdings seien die bisherigen Fälle vergleichsweise unkompliziert gewesen, relativierte König, die Ende 2022 als SRB-Chefin ausschied, bei ihrer letzten Anhörung im Europäischen Parlament. Der echte Härtetest stehe noch aus.

Hinweise aus der Bundesregierung, dass wegen der aktuellen Krise die Bereitschaft, die Banken stärker zu regulieren, gewachsen ist, gibt es keine. Im Gegenteil: Die Finanzpolitiker der Ampelkoalition verweisen darauf, dass sich das europäische Bankensystem bisher als stabil erwiesen habe, keine Ansteckung durch die Probleme in den USA oder der Credit Suisse zu beobachten seien.

„Das Finanzministerium sieht keinen Anlass dafür, dass die Krise sich von den betroffenen Banken auf das ganze Finanzsystem ausbreiten könnte. Ich habe keinen Anlass, derzeit an dieser Einschätzung zu zweifeln“, sagt Andreas Audretsch, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen.

Der finanzpolitische Sprecher der FDP, Markus Herbrand, warnt sogar explizit davor, nun sofort mit „noch mehr Regulierung“ zu reagieren. Es sollen allenfalls „stellenweise im bestehenden Regelwerk nachgesteuert“ werden. Herbrand: „Wir dürfen bei allen Diskussionen nicht außer Acht lassen, dass das Vorhaben jedwedes Risiko aus den Finanzmärkten zu entfernen und jeden denkbaren Fall der Fälle vorab zu regulieren, mit stagnierendem Wirtschaftswachstum teuer erkauft wäre.“

Die Grünen halten dagegen eine neue Debatte über die Basel-Reformen für notwendig. In den vergangenen Monaten hatte die Bankenlobby versucht, die Vorgaben zu verwässern. „Forderungen nach weniger strenger Regulierung sind darum derzeit fehl am Platz“, sagt Andreas Audretsch.

Die Instabilität der Credit Suisse, die Übernahme durch die UBS und die Turbulenzen an den Finanzmärkten würden grundsätzliche Themen aufwerfen. „Es muss uns Sorge bereiten, dass sich die weiterhin ungelöste Too-big-to-fail-Problematik nochmals weiter verschärft. Mit der Übernahme der Credit Suisse durch die UBS entsteht ein neuer Banken-Gigant, der potenziell noch problematischer für das Finanzsystem werden kann“, so Audretsch. 

Insgesamt aber kann von großer Distanz zwischen Bundesregierung und Finanzinstituten derzeit trotz Bankenbeben keine Rede sein. Auch Lindner hat keine Berührungsängste mit Bankenvertretern, wie das Treffen am Montag zeigte. Der Minister plant auch, Mitte April am Jahresempfang des Bankenverbandes teilzunehmen. Nach der Finanzkrise hatten sich dort über Jahre kaum Regierungsvertreter blicken lassen.

Für den damaligen Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) waren die Banken vor allem Quelle von Risiken. Erst Olaf Scholz (SPD) schlug als Finanzminister andere Töne an, unterstrich die Bedeutung des Finanzstandorts. Lindner hat die Freundlichkeit noch gesteigert. „Wir brauchen starke, leistungsfähige Banken“, betonte er vor wenigen Wochen auf dem Neujahrsempfang der Deutschen Bank und deutete zugleich an, dass es Europa bei der Regulierung an der ein oder anderen Stelle übertrieben haben könnte.

Liikanen dagegen mahnt zur Distanz: „Die erste Lektion aus dieser Krise lautet: Gib niemals Druck nach. Oft wird die Regulierung nach Krisen verschärft und dann in ruhigeren Zeiten wieder aufgeweicht. Das ist ein großer Fehler“, sagte Liikanen.

Autoren: Jens Münchrath, Astrid Dörner, Yasmin Osman, Michael Maisch, Andreas Kröner, Jan Hildebrand, Martin Greive, Julian Olk, Carsten Volkery

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