Zeit des Pragmatismus

Die Corona-Pandemie erzeugt den tiefsten wirtschaftlichen Einbruch in Friedenszeiten seit der Weltwirtschaftskrise vor 90 Jahren. Hans-Werner Sinn, der ehemalige Präsident des ifo Instituts, über Folgen der Krise und Lösungsansätze für die Zukunft.
Hans-Werner Sinn

Die Tagespost, 1. Oktober 2020, Nr. 40, S. 28.

Herr Professor Sinn, wie können wir mit der Pandemie künftig umgehen und welche Folgen hätte ein zweiter Lockdown?

Schon der erste Lockdown hat die Wirtschaftstätigkeit massiv beeinträchtigt. Einen Einbruch von minus zehn Prozent, wie im ersten Halbjahr 2020 können wir uns nicht noch einmal erlauben. Das ist allen Beteiligten bewusst und deshalb wird jetzt auch auf eine andere Strategie gesetzt. Lokale Lockdowns, wenn die Zahlen der Infektionen über 50 je 100 000 Einwohner hinausgehen, sind der richtige Weg.

Durch Corona scheinen Sparkurs und Schwarze Null am Ende zu sein. Wer zahlt die Zeche?

Zunächst einmal ist es richtig, in einer solchen Situation, die einer Naturkatastrophe gleichkommt, die „Schwarze Null“ zu vergessen. Stattdessen wendet man kreditfinanzierte Ausgabenprogramme an, wie sie im Grundgesetz vorgesehen sind. Die Lasten tragen letztlich in erster Linie die Steuerzahler. Sie treffen aber wohl auch die Besitzer von Geldvermögen. Die Rettungsgelder kommen im Wesentlichen aus der Druckerpresse der Europäischen Zentralbank. Die Papiere, die ein Staat ausgibt, um sich zu verschulden, landen am Ende bei der Notenbank, die sie mit frisch gedrucktem Geld aufkauft. Das erscheint zwar auf den ersten Blick recht einfach, bringt aber langfristig erhebliche Probleme mit sich.

Welche Probleme sind das?

Mit den Maßnahmen, die jetzt bereits beschlossen wurden, wird die Zentralbankgeldmenge aufgebläht und bis Mitte 2021 auf deutlich über fünf Billionen Euro gestiegen sein. Das geschieht bei einer Wirtschaft der Eurozone, die kaum größer ist als 2008, obgleich die Geldmenge damals nur bei 0,9 Billionen war. Sie hat sich also seitdem mehr als verfünffacht. Vier von den fünf Billionen Euro sind aber eigentlich überflüssig und werden von der Wirtschaft nicht für Transaktionen benötigt. Wenn die Wirtschaft nach der Krise wieder, von einem neuen Optimismus getragen, anzieht, kann eine Lohn-Preis-Spirale einsetzen, bei der die EZB die Zügel anziehen müsste. Das wird dann aber durch die zuvor extrem erhöhte Geldmenge kaum möglich sein, mit der Folge, dass eine eintretende Inflation kaum noch zu bremsen sein würde.

Was halten Sie von der von Friedrich Merz aufstellten These, dass die Menschen in der Kurzarbeitsphase während der Pandemie tatsächlich verlernen könnten zu arbeiten?

Da hat er vollkommen Recht. Wenn ich Geld erhalte, ohne dafür arbeiten zu müssen, finden viele das sicherlich in Ordnung. Wenn man sich dann an eine solche Situation gewöhnt hat, fällt die Rückkehr in die Normalität schwer. Deshalb ist die Verlängerung des Kurzarbeitergeldes bis nach der Bundestagswahl zwar aus Sicht der regierenden Parteien wahltaktisch verständlich. Sie ist aber  ökonomisch und volkswirtschaftlich problematisch.

Lehrt uns die Pandemie, Grenzen der Globalisierung neu zu definieren?

Globalisierung meint auf der einen Seite den weltweiten Güterhandel, auf der anderen die Freizügigkeit der Menschen, die mit ihren Flugzeugen um die Welt jetten. Ersteres hat nicht zur Übertragung des Virus geführt, während die unbegrenzte Mobilität ihn befördert hat. Deshalb werden wir uns möglicherweise auf eine dauerhafte Einschränkung des Flugverkehrs einstellen müssen. Der globale Handel bleibt dadurch jedoch unberührt, zumal wir in der Pandemie gelernt haben, unsere Kontakte auch anders zu pflegen als bisher.

Ist die fortschreitende Digitalisierung also einer der positiven Effekte, die die Pandemie ausgelöst hat?

Wir haben gelernt, mit Konferenzprogrammen umzugehen, wir skypen und sind in den Sozialen Netzwerken unterwegs. Das alles ist für viele Menschen, auch im privaten Umfeld, zur Normalität geworden. So haben wir in der Krise eine digitale Geburtstagsfeier mit Teilnehmern aus aller Welt gehabt. Wir haben sogar gemeinsam ein Ständchen gesungen und es funktionierte. Das ist die neue Welt.

Der Klimawandel ist eine große Herausforderung: Wir verabschieden uns in Deutschland gleichzeitig von Atomkraft und Kohle. Welche Folgen hat das für unsere Industrie vor allem im globalen Wettbewerb?

Wir verabschieden uns ja nicht nur von Kernkraft und Kohle, wir wollen zugleich den Stromverbrauch durch die Elektrifizierung des Verkehrs dramatisch in die Höhe schrauben. Dass das nicht geht, und dass dieses Projekt kläglich scheitern wird, ist eigentlich offenkundig. So strangulieren wir unsere Industrie: Die Energiepreise steigen, in der Folge wandern energieintensive Sektoren ab. Das konnten wir bereits in der Vergangenheit beobachten. Dabei malträtieren wir insbesondere die Automobilindustrie, das Herzstück unserer Wirtschaft, ohne dass es dem Klima nutzt. Denn das Erdöl, das wir nicht mehr verwenden, wird zu anderen Erdteilen transportiert und dort verbrannt. Im Übrigen sind auch Elektroautos nicht CO2-frei. Sie brauchen Kohle, weil diese in allen Ländern immer noch zum Energiemix beiträgt. Dazu wird in China, in der Produktion der Batterien, ein weiterer immenser CO2-Rucksack beladen.

In ihrem aktuellen Buch beschreiben Sie, „was die Wirtschaft jetzt wirklich braucht“. Was sind aus Ihrer Sicht die Lösungsansätze für die drängenden Probleme unserer Zeit?

Wir müssen zurück zum Pragmatismus und weg von ideologischen Spielereien. Wir brauchen eine Klimapolitik, die funktionieren kann. Dabei bringt die unilaterale Zerstörung bedeutender Wirtschaftszweige in Deutschland das Klima nicht weiter.

Das Interview führte Heinrich Wullhorst.

Nachzulesen auf www.die-tagespost.de.