Erst braucht das Land Reformen

Autor/en
Hans-Werner Sinn
Kultur Spiegel 01.11.2005

DANN WIRD DER WIRTSCHAFTSAUFSCHWUNG OPTIMISMUS ERZEUGEN

Der Pessimismus der Deutschen ist eine rationale Reaktion auf die Erkenntnis objektiver wirtschaftlicher Probleme, insbesondere der Massenarbeitslosigkeit und der allgemeinen wirtschaftlichen Stagnation. Insofern nützt es nichts, Valium zu verabreichen oder durch sonstige Sekundärmaßnahmen die Stimmung zu heben. Ein bloßer Stimmungsaufschwung wird allenfalls zu einer konjunkturellen Verbesserung führen und alsbald wieder in neue Tristesse münden, wenn das konjunkturelle Strohfeuer erloschen ist. Ohne Reformen, die die grundlegenden Strukturprobleme des Landes angehen, lässt sich auf die Dauer nichts bewirken. Daher müssen jetzt die Reformen des Arbeitsmarktes und des Sozialsystems kommen, die Ökonomen seit Jahr und Tag fordern. Das mag zwar anfangs unbequem sein, dafür wird sich die Wirtschaftslage wieder verbessern. Und das wird dann im zweiten Schritt einen stabilen und wirtschaftlich wohlbegründeten Optimismus erzeugen. Neuseeland ist ein gutes Beispiel. Das Land lag am Boden, die Tristesse war verbreitet. Marktwirtschaftliche Reformen schienen dann die Verhältnisse in den ersten Jahren eher zu verschlimmern. Die Wende zu dauerhaftem Wachstum kam nach etwa fünf Jahren. Seitdem hebt sich auch die Stimmung der Neuseeländer. Sie sind zu einem optimistischen Volk geworden, das die Probleme der Zukunft offensiv angeht.

Hans-Werner Sinn, 57, ist Professor und Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung an der Universität München. Er veröffentlichte die Bücher "Ist Deutschland noch zu retten?" und "Die Basar Ökonomie".