Vier Gründe für die Wachstumsschwäche

Autor/en
Hans-Werner Sinn
ProFirma, 01.2003, S. 10

...und was dagegen zu tun ist

VON HANS-WERNER SINN

Lohnkostenanstieg: Der Anstieg der Löhne und lohnbezogenen Abgaben ist zweifellos der wichtigste Grund, denn er hat die Schaffung neuer Arbeitsplätze behindert. Die realen Lohnkosten im verarbeitenden Gewerbe sind in den letzten 20 Jahren in Westdeutschland um über 40 Prozent gestiegen und damit doppelt so viel wie in Holland, das 1982 mit dem Abkommen von Wassenaar den Weg der Lohnmäßigung einschlug. Die Folge war, dass die Zahl der Beschäftigtenstunden in Holland um 20 Prozent anstieg, während sie in Westdeutschland um etwa 5 Prozent zurückging.

Ausbau der Lohnersatzleistungen: Die Ausweitung des Sozialstaates hat zu dem Anstieg der Lohnkosten maßgeblich beigetragen. Durch den Ausbau der Lohnersatzleistungen wurden einerseits die Anspruchslöhne erhöht, andererseits wurde die auf dem Faktor Arbeit lastende Abgabenlast gesteigert. Für den Arbeitnehmer führt die Grenzabgabenlast der Wertschöpfung von über 65 Prozent dazu, dass die Nichtbeschäftigung immer lukrativer wird. Und für den Arbeitgeber rechnet sich bei den hohen Löhnen und Lohnzusatzkosten eine Neueinstellung nicht mehr.

Geringes Wachstum der neuen Länder: Während das Inlandsprodukt je Erwerbsfähigem in den neuen Bundesländern derzeit bei nur 58 Prozent der alten Bundesrepublik liegt, haben die Lohnkosten ein Niveau von deutlich über siebzig Prozent erreicht. Das dadurch bedingte geringe Wachstum im Osten überträgt sich rein rechnerisch in das geringe Niveau des gesamtdeutschen Wachstums. Darüber hinaus vermindert es die westdeutsche Dynamik, weil sie eine Fortführung der immensen öffentlichen Transfers in die neuen Länder erzwingt, die auch künftige Investitionen in Deutschland belasten und sie vermindern.

Euro-Einführung: Neben diesen internen Gründen tragen die Verschärfung des internationalen Wettbewerbs und die europäische Integration als externe Ursachen zu der Wachstumsschwäche bei.
So hat insbesondere der Euro über die Schaffung eines gemeinsamen Kapitalmarkts zu einer geradezu dramatischen Zinskonvergenz in Europa geführt. Diese Zinskonvergenz hat die deutsche Industrie ihres Wettbewerbsvorteils in Form niedrigerer Langfristzinsen beraubt und in anderen Ländern zu einer Stärkung der Wachstumskräfte beigetragen.

Die vom Sozialstaat auf den Arbeitsmarkt ausgehenden Rückwirkungen in Form hoher Anspruchslöhne müssen verringert werden. Dies lässt sich ohne Sozialabbau bewerkstelligen, wenn man gering Qualifizierten Lohnergänzungsleistungen statt Lohnersatzleistungen zahlt. Diese Maßnahme beseitigt die Lohnuntergrenze, die derzeit von der Sozialhilfe gebildet wird. Bei niedrigeren Löhnen werden zusätzliche Jobs rentabel, die sonst nie zur Verfügung gestellt worden wären.

Das Tarif- und Arbeitsrecht muss grundlegend reformiert werden. Flächentarifverträge sollten in Zukunft nur noch den Charakter von Lohnleitlinien haben, die ein Betrieb unterschreiten kann, wenn die Mehrheit der Belegschaft dies möchte. Der Kündigungsschutz sollte gelockert werden, um Neueinstellungen zu ermöglichen, die durch die derzeitigen Regeln verhindert werden.

An den harten Reformen führt jedoch kein Weg vorbei, wenn Deutschland die rote Laterne wieder abgeben will.

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