Austerität

Presseartikel von Hans-Werner Sinn und Akos Valentinyi, Oekonomenstimme - www.oekonomenstimme.org, 11.04.2014

Austerität wird oft die Schuld für Produktionseinbrüche und hohe Arbeitslosigkeit in mehreren europäischen Staaten zugewiesen. Dieser Beitrag zeigt, dass Austerität nicht für die Rezession verantwortlich gemacht werden kann, auch wenn sie dazu beigetragen hat. Die Wiederanpassung der relativen Preisniveaus und die Reallokation von Arbeitnehmern braucht Zeit.

Seit die Staatsschuldenkrise im Euroraum ausgebrochen ist, gab es viel Diskussion um Kosten und Nutzen fiskalischer Anpassungen, bzw. Austerität. Während mehrere Länder im Euroraum einen rapiden Anstieg ihrer Staatsschulden erlebten, die eine Verminderung der Budgetdefizite nötig machten, hat die Krise sie auch in eine starke Rezession gestürzt. Dies wiederum hat ihren Spielraum zur Reduzierung staatlicher Defizite eingeschränkt und in manchen Fällen sogar kurzfristige Steigerungen des Defizits nötig gemacht. Kosten und Nutzen von Fiskalpolitik hängen jedoch stark von der Art der Rezession ab. Wenn eine Rezession durch einen vorübergehenden Nachfrageschock herbeigeführt wird, kann expansive Fiskalpolitik die Effekte auf Produktion und Arbeitslosigkeit effektiv kompensieren. Wenn jedoch ein permanenter Nachfrage- oder Angebotsschock Grund für die Krise ist, sind die Vorzüge fiskalischer Expansion viel eingeschränkter. Der Schock, der die Große Rezession ausgelöst hat war permanenter Natur und hat somit die potentiellen Vorzüge jeglicher expansiver Fiskalpolitik stark eingeschränkt.

Die fiskalische Expansion von 2008 und 2009

Als es zur Finanzkrise kam, deuteten Regierungen im Euroraum sie als temporären Nachfrageschock und reagierten mit expansiver Fiskalpolitik. Die Größenordnung der Expansion gemessen durch den konjunkturbereinigten Primärsaldo war von Land zu Land unterschiedlich. Er nahm in den Kernländern relativ wenig ab, aber in den Peripherieländern umso mehr, wie Abbildung 1 zeigt. Die fiskalische Expansion war jedoch nicht sehr erfolgreich bei der Kompensation der Rezession durch die Krise. Griechenland, Irland und Spanien betrieben zwischen 2007 und 2009 eine fiskalische Expansion von mehr als 6% des Produktionspotentials und wiesen 2010 trotzdem eine negative Produktionslücke von über 6% auf. Die expansive Fiskalpolitik in der Peripherie hatte kaum mehr als sich rapide erhöhende Staatsschuldenstände zur Folge und bereitete so der darauf folgenden europäischen Staatsschuldenkrise den Weg. Unserer Meinung nach war die Ineffektivität der fiskalischen Expansion Resultat der Tatsache, dass der Schock permanenter Natur war.

Abbildung 1

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Haushaltskonsolidierung zwischen 2009 und 2012 – Austerität

Die Staatsschuldenkrise zwang die Peripherieländer des Euroraums zum Handeln. Irland, Portugal und Griechenland mussten deutlich höhere Zinsen auf den Anleihemärkten zahlen. Die Märkte zwangen diese Länder praktisch dazu, ihre fiskalische Anpassung vorzuziehen. Da dies hohe Kosten in Bezug auf Beschäftigung und Produktion mit sich gebracht hätte, entschieden sich die Regierungen der Peripherie, externe Hilfe von der Staatengemeinschaft, repräsentiert von der Troika (EZB, IWF und Europäische Kommission), zu suchen. Dies machte es ihnen möglich, die fiskalische Anpassung hinauszuzögern. Demnach reduzierte die an stark kritisierte Konsolidierungsmaßnahmen gebundene Unterstützung sogar die Kosten fiskalischer Anpassung verglichen mit den Kosten, die der Markt diesen Ländern aufgezwungen hätte.

Abbildung 2 zeigt den konjunkturbereinigten Primärsaldo im Vergleich zum Potentialoutput für die Jahre 2007, 2009 und 2012. Zum Ersten sehen wir beim Vergleich der drei Perioden, dass alle Länder im Euroraum mit Ausnahme von Finnland und Luxemburg Konsolidierungsmaßnahmen implementiert haben. Wie viele Beobachter angemerkt haben, hat Griechenland eine sehr große Anpassung implementiert, die genau wie die Anstrengungen Irlands und Portugals Lob verdient. Allerdings müssen diese Austeritätsbemühungen im Zusammenhang betrachtet werden, da genau dieselben Länder in den vorigen zwei Jahren expansive Fiskalpolitik betrieben haben. Besonders die spanischen und irischen Konsolidierungsmaßnahmen machten noch nicht einmal die vorherige Expansion rückgängig, während Portugals Sparmaßnahmen ungefähr dieselbe Größe hatten wie die in den zwei Jahren zuvor betriebene expansive Fiskalpolitik. Über den Zeitraum von fünf Jahren war Griechenland, das einzige Land, das signifikante Sparmaßnahmen durchgesetzt hat.

Abbildung 2

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Auswirkungen der Austeritätspolitik

Wir wenden uns jetzt den Auswirkungen der Austerität auf die Wirtschaft zu. Abbildung 3 setzt graphisch die Änderung des realen BIP zwischen 2009 und 2012 zur Änderung jeweils konjunkturbereinigter Primärausgaben und Einnahmen im selben Zeitraum in Bezug. Die linke Seite der Abbildung stimmt mit der gewöhnlichen Auswirkung von Sparmaßnahmen überein: Ausgabenänderung sind positiv korreliert mit gesamtwirtschaftlicher Produktion. Die stark negative Beziehung zwischen Ausgabekürzungen und Output ist jedoch hauptsächlich von Griechenland beeinflusst. Ohne Griechenland erscheint die Beziehung viel gemäßigter, wie die rote Linie in dem Diagramm zeigt. Die rechte Seite der Abbildung ist weniger aussagekräftig. Wenn überhaupt legt sie nahe, dass Einnahmeänderungen auch positiv mit dem Output korreliert sind, was gegensätzlich zum gewöhnlichen Effekt von Austerität wäre.

Abbildung 3

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Der Produktionsverlust über diese vier Jahre war mit Ausnahme von Griechenland relativ gering. Deshalb erscheint es rätselhaft, warum der Eindruck entstand, dass die Peripherie des Euroraums in eine tiefe Rezession gestürzt wurde. Die Antwort gibt Abbildung 4, die graphisch Änderungen im realen BIP mit Änderungen des Beschäftigungsgrads in Beziehung setzt. Hier sehen wir dramatische Änderungen zwischen Q3 2007 und Q3 2009 sowie Q3 2009 und Q3 2012. Über diese Zeiträume sank die Beschäftigung in Griechenland um über 15%, in Spanien und Irland um ungefähr 15% und in Portugal um circa 10%.

Abbildung 4

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Die Abbildung zeigt noch einen anderen Unterschied zwischen dem Kern und der Peripherie des Euroraums auf. Die Produktionsänderung in den Kernländern war sowohl zwischen Q3 2007 und Q3 2009, als der Output sank, als auch zwischen Q3 2009 und Q3 2012, als der Output stieg, größer als die Änderung des Beschäftigungsgrads. Im Gegensatz dazu war die Produktionsänderung in der Peripherie während beiden Perioden kleiner als die Änderung des Beschäftigungsgrades, mit Ausnahme von Griechenland, wo die Beschäftigung sich nur zwischen Q3 2009 und Q3 2012 mehr veränderte als der Output. Anders formuliert scheint sich die Produktivität des Faktors Arbeit während dieser Rezession in den Kernländern prozyklisch, aber in den Peripherieländern antizyklisch zu verhalten. Die Tatsache, dass die Produktivität der Arbeit in der Peripherie angestiegen ist, legt nahe, dass Unternehmen früh erkannt haben, dass sie einem länger andauernden Nachfrage- und/oder Angebotsschock gegenüberstanden und deshalb schneller Arbeitnehmer entlassen haben als ihr Output sank.

Anpassung und Austerität

Die Gründe aus denen Unternehmen in der Peripherie dachten, dass sie länger andauerndere Schocks erlebten, können aus Abbildung 5 ermessen werden. Diese zeigt die Änderungsraten des Beschäftigungsniveaus in sechs großen Industriezweigen der Wirtschaft zwischen Q3 2007 und Q3 2009 sowie Q3 2009 und Q3 2013. Erstens nahm die Beschäftigung in beiden Zeiträumen primär in der Güterproduktion, im Baugewerbe sowie im Handel und Transport ab. Ungefähr die Hälfte des gesamten Beschäftigungsverlustes in Spanien und Irland, ungefähr ein Drittel in Portugal und ein Fünftel in Griechenland fiel in den Bausektor. Zweitens passierte der Anstieg des Beschäftigungsniveaus in beiden Perioden im Dienstleistungsgewerbe, exklusive dem Handel und Transportgewerbe. Genauer gesagt stieg in manchen Industriezweigen der Beschäftigungsgrad, während zeitgleich in anderen die Beschäftigung sank.

Abbildung 5

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Eine Deutungsmöglichkeit dieser Tatsache ist, dass der Investmentboom in der Peripherie von einer massiven Fehlallokation der Faktoren Kapital und Arbeit in allen Sektoren begleitet wurde. Als die Krise einsetzte, erkannten viele Unternehmen, dass das bisherige Beschäftigungsniveau nicht tragfähig war und somit sank die Beschäftigung in diesen Industriezweigen permanent. Dies löste industrieübergreifend eine immense Reallokation von Arbeit (und Kapital) in den Peripherieländern aus. Für Arbeitnehmer ist es kostspielig und zeitaufwendig den Industriezweig zu wechseln, weshalb das Beschäftigungsniveau sich nur schrittweise im Laufe der Zeit erholt. In Ländern mit rigiden Arbeitsmärkten kann dieser Vorgang lange dauern.

Während der wirtschaftlichen Blütezeit in den Jahren vor der Krise, erlebten die Peripherieländer überschwängliche Investitionstätigkeit und Zufluss privaten Kapitals, verloren aber ihre Wettbewerbsfähigkeit auf Grund exzessiver Güterpreissteigerungen im Vergleich zum Rest des Euroraums, häuften große Leistungsbilanzdefizite an und erlitten die Fehlallokation ihrer produzierenden Ressourcen. Austerität trägt zum langsamen Prozess der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der Peripherieländer bei, indem sie gesamtwirtschaftliche Nachfrage reduziert und damit bei der Wiederangleichung der Preise hilft. Abbildung 6 zeigt, dass nach einer starken realen Aufwertung zwischen 2002 und 2007 in den Peripherieländern zwischen 2008 und 2009 nur wenig Preisanpassung stattfand. Das Preisniveau in allen Peripherieländern wuchs nur während des Zeitraums fiskalischer Austerität langsamer als im Kern.

Abbildung 6

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Schlussfolgerung

Die Peripherie des Euroraums befindet sich seit 2008 in einer Rezession und Austeritätsmaßnahmen wird zunehmend die Schuld für die wirtschaftliche Trägheit gegeben. Auch wenn Austerität unzweifelhaft zur Rezession beigetragen hat, wurde diese auch von einer Kombination eines permanenten negativen Nachfrage- sowie Angebotsschocks getrieben. Der negative Nachfrageschock in der Peripherie war permanenter als in einer gewöhnlichen Rezession, da die Haushalte in der Peripherie ihre Erwartungen über die Annäherungsgeschwindigkeit an die Kernstaaten des Euroraums nach unten anpassten. Ein permanenterer Angebotsschock entstand aus der Fehlallokation der Produktionsfaktoren vor der Krise, insbesondere des Faktors Arbeit. Die Anpassung hin zu einer Allokation von Arbeitskräften und relativen Preisen, die mit kleineren Außenbeiträgen einher geht, führt über eine Rezession. Dieser Anpassungsprozess kann wie in den meisten Fällen großflächiger Reallokation von Arbeitskräften eine lange Zeit dauern. Wie viel Austerität oder was für eine Kombination aus Austerität und Schuldenerlass wirklich nötig war und ist, sind Themen, die weiterhin offen zur Debatte stehen. Es ist jedoch klar, dass Austerität eine Voraussetzung der nötigen Wiederangleichung relativer Preise ist, welche durch die Kreditblase nach der Euro-Einführung verzerrt wurden.

Hinweis der Autoren:
Diese Kolumne basiert auf EEAG (2014), The EEAG Report on the European Economy, Austerity: Hurting but Helping”,CESifo, München 2014, S. 75-90. Die EEAG-Mitglieder sind Akos Valentinyi (Cardiff Business School, Vorsitzender der Gruppe), Giuseppe Bertola (EDHEC Business School), John Driffill (Birkbeck College), Harold James (Princeton University), Hans-Werner Sinn (ifo Institut und LMU München) und Jan-Egbert Sturm (KOF Konjunkturforschungsstelle, ETH Zürich). Sie sind gemeinsam verantwortlich für jedes Kapitel dieses Berichts. Sie beteiligen sich auf einer persönlichen Basis und vertreten nicht notwendigerweise die Ansichten der Organisationen, denen sie angehören.

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