Die Lehren aus der Griechenland-Krise

Autor/en
Hans-Werner Sinn
Project Syndicate, 28. Juli 2015

Nach langem Poker ging es am Ende sehr schnell. Nur eine Woche nachdem das griechische Volk die Bedingungen für neue Kredite in Höhe von 7,5 Mrd. Euro abgelehnt hatte, einigte man sich auf ein drittes Hilfsprogramm in Höhe von 86 Mrd. Euro, einem halben griechischen Bruttoinlandsprodukt. Bis Ende Juni waren zuvor schon 344 Mrd. Euro über die EZB, die Staatengemeinschaft und den IWF an den griechischen Staat und die Banken Griechenlands geflossen. Man war erschöpft, wollte in die Sommerpause und nahm es zum Schluss auch mit den Auflagen nicht mehr so genau. Griechenland war nach Feststellung der EFSF am 3. Juli offiziell bankrott, wird aber nun doch noch weitergeschleppt.

Damit ist die bislang größte Krise der Eurozone vorläufig beigelegt worden. Wie nie zuvor haben sich die Regierungen Westeuropas verhakelt, beschimpft, beleidigt, gedemütigt, bedrängt und erpresst. Um ein Haar wäre Griechenland aus dem Euro geflogen.

Der griechische Finanzminister Varoufakis hatte, wie er mitteilte, bereits vor einem halben Jahr eine geheime Arbeitsgruppe zur Einführung einer Parallelwährung und Übernahme der griechischen Zentralbank durch die Regierung gebildet. Auch die deutsche Regierung war bereit, sich in das scheinbar Unvermeidliche zu fügen. Hätte nicht Francois Hollande hinter dem Rücken von Kanzlerin Merkel mit der griechischen Regierung verhandelt, hätte die Geschichte einen anderen Verlauf genommen.

Der Streit hat die Beziehungen zwischen den westeuropäischen Ländern aber auch innerhalb der Regierungen belastet. Man leckt jetzt die Wunden und zähmt seinen Groll. Doch wird es lange dauern, bis der Schock überwunden ist.

Das Gerangel war das Ergebnis des Versuchs der Politik, sich über die ökonomischen Gesetze hinwegzusetzen. Das Dogma von der Unfehlbarkeit der europäischen Entscheidungen und der Unumkehrbarkeit eines jeden Integrationsschritts kollidierte mit der ökonomischen Wirklichkeit. Ähnlich ist es, wenn Firmen ihren Konkurs erklären, weil es nicht mehr möglich ist, alle Ansprüche gemeinsam zu befriedigen.

Europa stehen noch viele solche Konflikte bevor, wenn es seine Schuldenprobleme weiterhin so zu lösen versucht wie im Falle Griechenlands. Der Grundfehler war, dass man im Jahr 2010 auf französichen Druck unter Bruch der No-Bail-Out-Regel des Maastrichter Vertrages die privaten Gläubiger Griechenlands gegen öffentliche Gläubiger in Form anderer Euro-Staaten ausgetauscht hat. Damit hat man den natürlichen Streit, der stets zwischen Gläubigern und Schuldnern ausbricht, wenn es dem Ende zugeht, zu einem Streit zwischen souveränen Staaten gemacht, der die Völker Europas gegeneinander aufhetzte und radikalen politischen Parteien Zulauf verschaffte. Das hat den europäischen Integrationsprozess schwer geschädigt.

Ohne die Schuldensozialisierung durch die Rettungsschirme hätte Yanis Varoufakis oder wer sonst griechischer Finanzminister gewesen wäre, den Konkurs erklären und sich an seine privaten Gläubiger aus einer Vielzahl von Ländern wenden müssen. Die Regierungen dieser Länder hätten ihre Banken dann mit Steuergeldern retten müssen. Auch das wäre kein Vergnügen gewesen, doch hätten sich dabei niemals Staaten ineinander verbeißen können. Wie die Beispiele der Dexia-Bank oder der Hypo Real Estate vermuten lassen, wäre vermutlich alles relativ geräuschlos und ohne internationale Konflikte abgelaufen.

Unterstützt von der Presse versuchen die Banken im Falle drohender Abschreibungsverluste stets, Weltuntergangsszenarien zu beschwören, bis die Politiker zitternd die Geldbörsen der Steuerzahler zücken. Aber die über 180 Staatskonkurse, die die Welt seit dem Krieg gesehen hat, führten in aller Regel nicht zu größeren Verwerfungen, sondern waren stets ein Neuanfang für die betroffenen Staaten. In Wahrheit sind die Gefahren, die aus der Schuldensozialisierung für den Frieden in Europa resultieren, wesentlich größer als die Gefahren möglicher Finanzkrisen.

Die Lehre, die aus dem Griechenland-Debakel zu ziehen ist, lautet deshalb, dass die Eurozone so schnell wie möglich eine Konkursordnung für Staaten entwickeln sollte, die verhindert, dass andere Staaten über Mechanismen der Schuldensozialisierung in die Rolle von Gläubigern kommen. Wenn andere Staaten Beistand leisten wollen, so sollten sie es in Form unilateraler humanitärer Hilfen tun, ohne Bedingungen zu stellen oder Geld zurück zu fordern. Nur so lässt sich der politische Zusammenhalt Europas bewahren.

Nachzulesen auf www.project-syndicate.org