„Arbeitslosigkeit steigt rasch“

Interview mit Hans-Werner Sinn, Kölnische Rundschau, 21.11.2008

Hans-Werner Sinn erwartet eine Rezession auf breiter Front. Für ihn sind Konjunkturprogramme immer nur "Strohfeuer." Mit dem Präsidenten des Münchner Ifo-Instituts sprach Ralf Müller über die derzeitige schwierige Wirtschaftslage.

Sie deuteten kürzlich an, man werde die Rezession schon bald nicht nur in Teilbereichen der Wirtschaft spüren. Also bald Rezession auf breiter Front?

So ist das. Die Rezession fängt ja jetzt erst an. In Frühindikatoren wie dem Ifo-Index hat sie sich zwar schon seit einem drei Viertel Jahr sehr deutlich angekündigt, aber wir stehen immer noch erst am Beginn einer wirtschaftlichen Flaute, die sich im nächsten Jahr weiter auswachsen und alle großen Wirtschaftsbereiche erfassen wird.

In Deutschland ist man stolz auf den Abbau der Arbeitslosigkeit. Was passiert jetzt mit der Arbeitslosigkeit?

Sie wird jetzt sehr rasch wieder ansteigen. Ich hoffe nicht, dass sie auf fünf Millionen ansteigt, denn wir sind durch die Hartz-IV-Reformen am Arbeitsmarkt jetzt etwas besser aufgestellt als bei der früheren Flaute. Ich könnte mir vorstellen, dass es nicht so weit kommt wie früher. Diese Wirtschaftskrise hat es allerdings in sich. Sie könnte weltweit gravierendere Ausmaße annehmen als die Wirtschaftskrise der Jahre 2001 bis 2005.

Wie scharf wird denn der Absturz 2009 werden?

Wir erstellen gerade die neue Prognose, die im Dezember vorgestellt wird. Ich verweise darauf, dass in der bisherigen Herbstprognose der Institute ein Risikoszenarium berechnet worden war, bei dem die Wirtschaft um 0,8 Prozentpunkte schrumpfen würde. Voraussichtlich werden wir eine negative Zahl für 2009 prognostizieren.

Was können die Staaten tun, um die Krise abzumildern?

Die Banken und Finanzinstitute müssen gerettet werden. Dazu sind die Rettungspakete im Umfang von weltweit über 3000 Milliarden Euro geschnürt. Das wird Bankzusammenbrüche wirksam verhindern. In Deutschland käme es allerdings auch darauf an, zu verhindern, dass Banken, die nicht vor dem Zusammenbruch stehen, sondern nur Eigenkapital verloren haben, ihr Geschäftsvolumen einschränken. Das ist im Moment nämlich die große Devise bei den Bankvorständen. Die Einschränkung des Geschäftsvolumens würde dazu führen, dass die Firmen nicht mehr genug Kredite für ihre Investitionen bekommen. Die Banken müssen deshalb gezwungen werden, das zur Verfügung gestellte staatliche Eigenkapital anzunehmen oder sich neues Eigenkapital am Markt zu besorgen - und zwar nach festen Proportionen und Schlüsseln. Das Rettungspaket muss hier nachgebessert werden.

Wie kann man Banken zwingen, sich vom Rettungspaket helfen zu lassen?

So wie das die Engländer machen. Dort müssen die Banken eine Kernkapitalquote von neun Prozent erreichen, indem sie privates Geld finden oder die Staatshilfen annehmen. Ferner müssen sie sicherstellen, dass sie ihre Ausleihungen gegenüber dem Durchschnitt der letzten vier Jahre nicht reduzieren. Sie können die höhere Kapitalquote nicht erreichen, indem sie ihr Geschäftsvolumen reduzieren. Dieser englische Plan ist ein guter Plan, Deutschland sollte ihn übernehmen.

Und was halten Sie von Konjunkturprogrammen?

Die Regierungen sollten Gewehr bei Fuß stehen und echte Konjunkturprogramme mit Steuersenkungen und Infrastrukturinvestitionen entwickeln, diese aber jetzt noch nicht anwenden, sondern abwarten, bis das Feuer zu erlöschen droht. Konjunkturprogramme sind immer nur Strohfeuer. Sie haben eine nützliche Funktion, um das Feuer wieder in Gang zu bringen, wenn es zu erlöschen droht. Aber im Moment ist das noch nicht der Fall. Die Arbeitslosigkeit ist derzeit auf dem niedrigsten Stand seit 16 Jahren. Wenn man die Konjunkturprogramme bereits jetzt aktiviert, fehlt das Stroh, wenn man es braucht. Aber vorbereiten würde ich es.

In den USA und Europa wird über Rettung für andere Wirtschaftszweige wie die Autoindustrie nachgedacht...

Da hat der Staat nichts zu suchen. Denn die nötige strukturelle Bereinigung der Branche kann nur in der Flaute stattfinden. Der Staat darf die nötigen Strukturanpassungen nicht durch seine Maßnahmen behindern. Zu Opel: Jeder Euro, den man da hineinsteckt, kommt über verschiedene Kanäle in einen großen Topf, der mit General Motors gebildet wird, und GM ist pleite.

Man kann nicht sicherstellen, dass das Geld vor Ort bleibt?

Es gibt viele Möglichkeiten des Geldtransfers zwischen Opel und General Motors - über Verrechnungspreise bei Vorprodukten, Preise für Lizenzen und vieles mehr. Es ist nicht möglich, eine Hilfe für Opel so zu gestalten, dass kein Geld nach Amerika abfließt, außer man macht Opel zuvor zu einer selbständigen Firma.