"Deutschland soll dem Druck nicht nachgeben"

Interview mit Hans-Werner Sinn, Deutsche Welle online, 16.06.2012

Hans-Werner Sinn, Präsident des ifo-Instituts, rechnet damit, dass einige an der Peripherie aus dem Euro austreten werden. Im Interview mit der DW rät er Angela Merkel, das Portemonnaie nicht aufzumachen.

DW: Was erwartet uns am kommenden Montag?

Hans-Werner Sinn: Wir müssen erstmal die Wahlen abwarten, welche Ergebnisse sie bringen. Es wird auf jeden Fall eine neue griechische Regierung gebildet, die in Verhandlungen mit der EU treten muss. Dann wird eine Übereinkunft getroffen. Wahrscheinlich wird man den Griechen weiter nachgeben. Das ist immer so gewesen. Aber man wird ihnen doch nicht so viel nachgeben, dass sie damit richtig zufrieden sind. Es wird also für alle Beteiligten immer schmerzlicher. Irgendwann kommt dann der Punkt, wo die Griechen sagen: Jetzt machen wir es nicht mehr im Euro, sondern wir treten aus und führen die Drachme wieder ein. Dann wertet die Drachme ab, und Griechenland kann wieder wettbewerbsfähig werden. Es gibt nämlich mehrere Effekte. Erstens kommen die Touristen wieder. Dann hören die Griechen auf, aus Frankreich mehr Agrarprodukte zu kaufen, als sie liefern. Das wird die heimische Wirtschaft beleben. Drittens wird auch das Fluchtkapital wieder zurückkommen. Im Moment sitzen die reichen Griechen mit ihrem Geld in der Schweiz und trauen sich nicht nach Griechenland, weil sie wissen, dass die Rettungsaktionen die Immobilienpreise und die anderen Vermögenswerte künstlich auf einem Niveau halten, das gar nicht stabil ist. Sie rechnen damit, dass die Preise fallen, sobald die Retter kein Geld mehr haben oder keine Lust mehr haben zu zahlen. Deswegen kommen sie nicht. Wenn aber Griechenland ausgetreten ist, die Drachme abwertet, dann kommen sie alle sofort, weil sie ein Schnäppchen machen können und weitere Vermögensverluste müssen sie dann ja nicht befürchten.

Rechnen Sie damit, dass auch der spanische Staat bald gerettet werden muss?

Spanien ist offenkundig in Schwierigkeiten. Der spanische Staat wird ja schon gerettet. Wir haben jetzt den Beschluss, 100 Milliarden Euro an Krediten dem spanischen Staat zu geben, zwar mit der Zweckbindung, dass der dieses Geld dann wiederum für seine Banken verwendet. Aber es ist bereits ein Kredit an den Staat.

Wenn jetzt alle Politiker betonen, Italien braucht keine Hilfe von außen, dann ist das fast schon ein sicheres Zeichen, dass das Gegenteil eintrifft. Ist dann das Ende der Fahnenstange erreicht, wenn die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone fällt?

Die Euroländer können unter keinen Umständen für große europäische Länder Rettungsschirme aufspannen wie für kleine. Griechenland hat bislang über alles zusammen genommen 460 Milliarden Euro bekommen. Das kann man nicht für die großen Länder proportional wiederholen. Wir kommen zunehmend in eine Problemlage hinein, wo es dann echt schwierig und eng wird. Was kann man tun? Die Südländer wollen Eurobonds. Die laufen aber darauf hinaus, dass praktisch die alten Schulden, die vorher auch zum Teil in der Voreurozeit gemacht wurden, vergemeinschaftet werden - denn man gibt ja neue Schulden aus, neue Kreditpapiere zu niedrigen Zinsen und löst damit die alten ab. Nach einer gewissen Zeit sind die ganzen Altschulden quasi sozialisiert. Dann werden sich die Länder auch in Zukunft übermäßig verschulden, weil sie davon ausgehen, dass sie die Schulden anderen aufbürden können. Das ist eine sehr gefährliche Entwicklung.

Wie sieht Ihre Roadmap aus?

Realistischerweise müssten wir jetzt akzeptieren, dass einige Länder in der Peripherie aus dem Euro austreten. Diejenigen, die viel zu teuer geworden sind durch die kreditfinanzierte Blasenbildung, die der Euro selber seinerzeit hervorgerufen hat, sollten im eigenen Interesse austreten und abwerten, damit sie wieder wettbewerbsfähig werden. Dann kann man den Rest des Euroraums erhalten, und sie könnten dann ja auch später wieder eintreten, wenn sie ihre Reformen gemacht haben. Die Möglichkeit der Rückkehr wird ein großer Anreiz sein, die notwendigen Reformen umzusetzen. Man sollte aufhören den Austritt zur Katastrophe zu stilisieren, wenn man nicht will, dass er eine Katastrophe wird. Man sollte den Austritt vielmehr mit Finanzhilfen erleichtern und die ganze Sache entdramatisieren.

Dann haben wir immer noch das Problem der Banken, aber die Bankschulden sind so riesig, dass wir sie nicht kollektiv absichern können. Es gibt nur eine Möglichkeit damit fertig zu werden: Man muss die Gläubiger der Banken, die jetzt Forderungen gegen die Banken haben, bitten, im Austausch gegen Aktien auf einen Teil ihrer Forderungen zu verzichten. Das heißt: Wir retten die Banken, ohne die Aktionäre der Banken zu retten. Das ist die richtige Strategie. Das sind ja so unermesslich große Summen, dass hier eine Lösung über eine kollektive Besicherung im Grunde nicht infrage kommt. Und Deutschland wäre sicherlich falsch beraten, so etwas zu akzeptieren.

Wie viel Zeit geben sie der Eurozone? Laut George Soros hat die Währungsunion keine drei Monate mehr, um den Euro zu retten.

Ich schätze George Soros sehr. Er ist ein sehr kluger Mann. Aber ich weiß nicht, ob er den Regierungen nur Druck machen möchte, damit sie das Portemonnaie öffnen. Im Moment findet ein Kesseltreiben gegen Frau Merkel statt, an dem sich die Wall Street, die City of London und selbst der amerikanische Präsident beteiligen. Man will an das deutsche Geld ran, um damit den Vermögensverlust im eigenen Portefolio zu verhindern. Ich glaube, es ist für Deutschland falsch, diesem Druck nachzugeben, denn die Ausgaben Deutschlands für die anderen Euroländer sind bereits gigantisch. Wenn der jetzt beschlossene Kreditrahmen ausgeschöpft wird und die Krisenländer nicht zurück zahlen, wird der deutsche Staat übe 700 Milliarden Euro verlieren.

Das Interview führte Zhang Danhong.