Verwandte in Habecks Ministerium: Niemand soll unangenehme Wahrheiten aussprechen

Ulrich Waas, 24. Mai 2023, Berliner Zeitung online.

Manchmal kann nur ein echter Freund offen reden. Genau so einen bräuchte die Energiewende. Jemand, der grüne Wunschvorstellungen hinterfragt. Ein Gastbeitrag.

Zu den grünen familiären Netzwerken in den für die Energiewende zuständigen Bundesministerien und sympathisierenden Instituten gab es in den letzten Wochen Berichte und Kommentare, die sich zunehmend auf das bedenkenlose Verhalten des Staatssekretärs Patrick Graichen bei Posten- und Geldvergabe konzentrierten. Schließlich versetzte Robert Habeck seinen Staatssekretär in den einstweiligen Ruhestand.

Allerdings titelte die FAZ richtigerweise dazu: Graichen ist nun weg – das System aber ist noch da. Die Versuche des Bundeswirtschaftsministeriums, die bisher genannten Fälle von Posten- und Geldvergaben als nicht systematisch darzustellen, sind auch nicht wirklich überzeugend. Beispielsweise ist bisher die Rolle der Bundesgesellschaft ZUG (Zukunft-Umwelt-Gesellschaft) noch nicht durchleuchtet worden, die im letzten Jahr im Auftrag mehrerer Bundesministerien für Projekte zu Umwelt-, Natur- und Klimaschutz deutlich über 1 Milliarde Euro vergeben hat. Wie viel ging davon an Institute und Vereine, die die Grünen-Agenda in Kampagnen unterstützen?

Das eigentliche Problem bei der Trauzeugen-Affäre um Patrick Graichen

Unabhängig davon ist aber das eigentliche Problem noch kaum thematisiert worden. Wenn Patrick Graichen bei der Besetzung des Chefpostens der Deutschen Energie-Agentur (Dena) mit offenen Karten gespielt und argumentiert hätte, der Kandidat sei ein guter Freund, aber als solcher traue dieser sich, ihm auch unangenehme Wahrheiten zu sagen, dann wäre das ein diskutabler Grund gewesen, diesen trotz Freundschaft auf den Posten zu setzen. Denn eine solche Person wird dringend gebraucht: Die Energiewende mit einem weitgehenden Umbau von Grundlagen unserer Volkswirtschaft ist so herausfordernd und komplex, dass es gefährlich ist, wenn keiner da ist, der vor „Klippen im reißenden Strom“ warnt. Der sieht, wenn die programmatischen Wunschvorstellungen nicht mehr mit den realen Bedingungen zusammenpassen.

Aber nach allem, was man erkennen kann, schätzen Graichen und andere Vertreter der Grünen-Agenda in den Ministerien es gar nicht, wenn es kritische Bemerkungen zu ihren programmatischen Wunschvorstellungen gibt. Das wird dann leicht als „ewig Gestriges“ oder „fossile Lobby“ abgetan. Kritiker werden nicht ernsthaft angehört. Sollten sie zu hörbar werden, lässt man sie mithilfe eingeübter Unterstützergruppen (Claudia Kemfert und andere) „plattmachen“.

Ein paar Beispiele, wo programmatische Wunschvorstellungen nicht zur Realität passen, was ignoriert wird:

Zubau Gaskraftwerke: 2021 schrieb Patrick Graichen mit anderen zu der Studie „Klimaneutrales Deutschland 2045“ im Vorwort: „Der Pfad ist realistisch, das Ziel wird innerhalb der üblichen Investitions- und Lebenszyklen sowie unter Wahrung von Wirtschaftlichkeit und gesellschaftlicher Akzeptanz erreicht. (…) Die Antwort auf die Frage, ob wir vor 2050 Klimaneutralität erreichen können, ist ein klares ‚Ja‘.“ Aber die Diskussion zu kritischen Fragen, ob z.B. der von ihm angenommene Zubau von mehreren 10.000-Megawatt-Gaskraftwerken mit entsprechend erhöhtem (russischen) Gasbedarf sinnvoll oder machbar sei, akzeptierte er nicht.

Als Putins Krieg diesem Konzept die Grundlage entzog, verweigerte Graichen sich der erforderlichen Revision des Konzepts. Stattdessen soll jetzt der Zubau von Wind und Sonne noch schneller erfolgen, als er es 2021 selbst für möglichen gehalten hatte.

CO2-Einsparungen durch Weiterbetrieb AKW: In der Debatte zum Weiterbetrieb der letzten drei Kernkraftwerke behaupteten Umweltministerium und Bundeswirtschaftsministerium mehrfach, sicherheitstechnische Gründe sprächen dagegen. Allerdings wurde die für solche Fragen berufene Reaktor-Sicherheitskommission (RSK) dazu gar nicht befragt. Denn es wurde vermutet, dass die das anders sehen würde.

Und in Dokumenten des Wirtschaftsministeriums wurde die Feststellung eigener Beamter gestrichen, dass der Weiterbetrieb der AKW viele Millionen Tonnen CO2-Emissionen sparen würde. Der Diskussion, was es für die CO2-Bilanz Deutschlands bedeutet, wenn jetzt faktisch die AKW durch Kohlekraftwerke ersetzt werden, weichen die Ministerien mit großer Hartnäckigkeit aus. Die aktuelle, trotzige Versicherung der Umweltministerin „Wir brauchen die Atomkraft nicht“ ignoriert immer noch, dass für jedes nicht weiter betriebene AKW jährlich zusätzlich 11 Millionen Tonnen CO2 emittiert werden. Wo bleibt hier die Klimaschutzpartei?

Speicherkapazität in der Energiewende: Als Hans-Werner Sinn, langjähriger Chef des Ifo-Instituts bereits 2017 auf das ungelöste Problem der Energiewende hinwies, nämlich die fehlende Speicherkapazität für Überschussstrom aus Wind und Sonne, und dies breiter diskutiert wurde, kam von Claudia Kemfert prompt eine Veröffentlichung. Ihre Botschaft: Sinn habe mit einem gänzlich falschen Ansatz gearbeitet. Wenn man aber Kemferts Veröffentlichung durcharbeitet, ist festzustellen: Ihre Argumentation beruht wesentlich auf den Annahmen, große Strommengen könnten über Hochspannungsleitungen europaweit ausgetauscht werden und es gebe eine im Vergleich zu heute riesige Elektrolysekapazität, um mit Überschussstrom Wasserstoff herzustellen.

Es ist jedoch völlig unklar, wann diese Annahmen einmal Realität werden könnten. Es wird also mit „ungedeckten Checks“ argumentiert. Damit droht bei dem beschleunigten Ausbau von Wind und Sonne, dass bei günstigen Wetterlagen immer mehr Abschaltungen notwendig werden, da der Überschussstrom nicht gespeichert werden kann.

Verbrennungsmotor: Um das Verbot des Verbrennungsmotors zu untermauern, haben sich Umwelt- und Wirtschaftsministerium früh festgelegt, dass die Entwicklung von Biodiesel und E-Fuel für den Einsatz in Pkw-Motoren der falsche Weg sei. Die Hinweise aus der Kfz-Branche, dass z.B. in Schweden mit der Entwicklung von Biodiesel in vorhandenen Pkw ein weitgehend klimaneutraler Betrieb erreicht worden sei und somit relativ rasch wenigstens in einem Teil der Pkw-Flotte ein nennenswerter Beitrag zur Klimaneutralität erreicht werden könne, führten nicht zu einer Änderung der Förderungspolitik.

Selbst eine entsprechende Stellungnahme von Monika Griefahn, einer Mitgründerin von Greenpeace Deutschland, die ein „sowohl als auch“ von Elektroauto und Verbrenner mit synthetischen Kraftstoffen für die absehbare Zeit als günstigste Strategie sieht, wurde ignoriert. Eine fachlich offene Diskussion findet nicht statt.

Gebäudeenergiegesetz: Aus der Einsicht, dass Gas- und Ölheizungen typischerweise eine Lebensdauer von 20 Jahren haben, leitete Graichen ab: Um 2045 im Heizungsbereich klimaneutral zu sein, dürften ab 2024 keine Gas- und Ölheizungen mehr eingesetzt werden, sondern im Wesentlichen nur noch Elektro-Wärmepumpen.

Angesichts des für einen solchen Wandel riesigen Aufwands der energetischen Sanierung von Häusern, Erhöhung der Produktionskapazität für Wärmepumpen, Aufbau von entsprechend geschultem Personal im Handwerk sowie Umbau der Stromversorgungsnetze und Ausbau der Speicherkapazitäten ist völlig schleierhaft, wie bis Anfang 2024 die Voraussetzungen für den neuen Kurs geschaffen werden sollen. Hierzu gibt es aus Handwerk, Industrie und Wissenschaft viele kritische Kommentare.

Und überhaupt: Wie sinnvoll es ist, ab dem 1. Januar 2024 so stark auf Elektro-Wärmepumpen zu setzen, da in den Heizperioden der nächsten Jahre nach dem beschlossenen Verzicht auf den Weiterbetrieb der AKW nicht genügend CO2-frei erzeugter Strom vorhanden ist? Tatsächlich wird vorhersehbar der zusätzliche Strombedarf weitgehend durch das Hochfahren von Braunkohlekraftwerken gedeckt werden mit entsprechenden Auswirkungen auf die CO2-Emissionen.

Aber auch hier sollen anscheinend die Stimmen aus der Praxis nicht gehört werden, weil dann der beschlossene Termin zur Verabschiedung des Gesetzes vor der Sommerpause nicht mehr erreichbar ist. Es gilt: Augen und Ohren zu und durch! Mit dieser Vorgehensweise kann man die von Graichen 2021 versprochene „Wirtschaftlichkeit und gesellschaftlicher Akzeptanz“ kaum erreichen.

Neues Wirtschaftswunder? Um von der fehlenden, offenen und kritischen Diskussion abzulenken, wird jetzt von einigen in der Regierung die Erzählung intensiviert, mit dem rascheren Ausbau von Wind und Sonne werde alles gut, der Strom werde billiger, es wäre sogar ein neues Wirtschaftswunder zu erwarten.

Für Menschen, die auf den Wirtschaftsseiten immer mehr Meldungen über Unternehmensverlegungen ins Ausland und Investitionen dort lesen, kommt diese Erzählung etwas überraschend. Oft werden nämlich die Verlegungen mit den besonders hohen Strompreisen in Deutschland begründet. Es hat sicher einen Grund, dass Robert Habeck nun auch über die Subventionierung der Industriestrompreise diskutiert.

Und wie sollen ohne Subvention die Strompreise sinken? Wenn man sich die Entwicklung der letzten 20 Jahre anschaut, ist erst mal festzustellen, dass mit dem wachsenden Anteil von Wind und Sonne die Strompreise gestiegen sind, obwohl der Ausbau in dieser Zeit direkt oder indirekt mit rund 400 Milliarden Euro gefördert wurde. Von den Unterstützern dieser Agenda wird gerne argumentiert, dass über die Jahre Wind- und Solaranlagen stetig billiger geworden seien. Das war zwar bislang richtig, im letzten Jahr aber stiegen die Preise wieder.

Und vor allem wird gerne verschwiegen, dass aus klaren Gründen der teurere Teil der Umstellung auf eine Versorgung mit „volatilen“ Stromquellen jetzt vor uns steht: Es war schon lange bekannt, dass bei Stromerzeugungsanteilen von Wind und Sonne bis zu etwa 30 oder auch 40 Prozent das bisherige Versorgungssystem flexibel genug ist, den volatilen regenerativen Strom aufzunehmen.

Auf dem Weg zu circa 80 Prozent Anteil ändert sich dies aber deutlich: Hoch-, Mittel und Niederspannungsnetze müssen grundlegend umgebaut und Speichereinrichtungen sowie Steuereinrichtungen bei den Verbrauchern und Ersatzstromkapazitäten in erheblichem Umfang aufgebaut werden. Dieser ganz erhebliche Aufwand verschwindet nicht, sondern ist natürlich der Energiewende zuzurechnen, egal, ob das auf Strompreise oder über Steuern umgelegt wird. Wie also soll das zu einer Verringerung der Stromkosten im Vergleich zum Ausland führen und damit ein „Wirtschaftswunder“ auslösen? Die kritische Diskussion darüber kann nicht durch Wünsche nach einem Wirtschaftswunder ersetzt werden.

Scheitert die Energiewende an grüner Ignoranz?

Es ist immer wieder festzustellen, dass offenen, kritischen Diskussionen zu Festlegungen in der grünen Agenda ausgewichen wird und Kritik mit oft erfundenen und unredlichen Argumentationen bekämpft wird. Noch sehr höflich spricht Reint Gropp, Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle, von einer „Schlagseite im Haus von Robert Habeck“. Unter den früheren Wirtschaftsministern von CDU und SPD habe es mehr Austausch mit Ökonomen gegeben: „Die Agenda scheint recht festgelegt, und man lässt sie sich immer wieder bestätigen.“

Zu Beginn der Regierungszeit hatte Robert Habeck noch davon gesprochen, dass die Energiewende eine große Gemeinschaftsaufgabe sei. Da konnte man noch die Hoffnung haben, dass er die Notwendigkeit gesehen hatte, mit dem Knowhow der bisherigen Fachleute und den Ideen seiner neuen Leute ein Team für diese Gemeinschaftsaufgabe zu schaffen.

Dies ist anscheinend nichts geworden. Berichtet wird stattdessen: „Doch Habeck hat die altgedienten Verwaltungsleute seines Hauses zur Seite geschoben, kaltgestellt, ignoriert – das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz in der Berliner Scharnhorststraße ist voller frustrierter und enttäuschter Mitarbeiter.“

„Unter Führung von Staatssekretär Graichen wurden bis auf die Referatsebene hinunter Mitarbeiter ausgetauscht gegen Kollegen, zu denen häufig persönliche Beziehungen bestanden und von denen keine fundamentale Kritik zu erwarten war. Die jüngste Affäre um die Besetzung der Dena-Geschäftsführung ist daher nur die Spitze des Eisberges.“

Die Tendenz, ideologisch unerwünschte Realitäten nicht mehr zur Kenntnis nehmen zu wollen, wird uns noch viele Probleme bereiten. Sie könnte auch zum Scheitern der Energiewende führen und trägt sicher nicht dazu bei, dass das Ausland sich die deutsche Energiepolitik zum Vorbild nimmt.

Zum Autor: Nach dem Physik-Diplom 1975 ging Ulrich Waas zur KKW-Sparte der Kraftwerk Union AG (KWU), damals gemeinsames Tochterunternehmen von Siemens und AEG. Nach Tätigkeiten in verschiedenen Fachabteilungen war er von 1992 bis zur Pensionierung 2012 Leiter der Abteilung, die beim KKW-Erbauer unter anderem für einen wesentlichen Teil der gegenwärtig diskutierten Periodischen Sicherheitsüberprüfung zuständig war. Anfang 2005 wurde Waas zum Einbringen seiner Fachkenntnisse in Sicherheitsfragen bei KKW vom Bundesumweltministerium in einen Ausschuss der Reaktor-Sicherheitskommission (RSK) berufen, von Anfang 2010 bis Ende 2021 in die RSK selbst.

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