Ich befürchte Siechtum in Europa

Hans-Werner Sinn

Interview mit Hans-Werner Sinn, Rheinische Post, 16.10.2014

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Der Ifo-Chef warnt vor einer Verschärfung der Euro-Krise, mahnt den Staat zu Sparsamkeit – und gibt Tipps für die Geldanlage.

Herr Sinn, die EZB hat die Zinsen nahe Null gedrückt, wie sollen Bürger ihr Geld unterbringen?

SINN Eine gewisse Risikostreuung ist wichtig. Klug ist, Kredite für eine bewohnte Immobilie abzuzahlen – die ersparten Zinsen sind die höchsten, die man bekommen kann. Im Übrigen ist die Immobilie selbst sicherer als die meisten anderen Anlagen. Eine vermietete Wohnung ist auch interessant, wenn der Preis stimmt. Anlagen in Aktien können das gut ergänzen – allerdings nicht in einzelne Firmen sondern gestreut über ETF-Fonds, die einen ganzen Markt zu niedrigen Gebühren abbilden.

Haben wir die Euro-Krise hinter uns?

SINN Nein, keineswegs. Angesichts der enorm hohen Jugendarbeitslosigkeit drohen die südeuropäischen Länder eine komplette Generation zu verlieren. Da werden ganze Länder verheizt. Und die Unsicherheit wegen der Ukraine-Krise könnte nun sogar den dritten Abschwung nach der Lehman-Krise in 2008 und der Eurokrise in 2012 provozieren. Auch in Deutschland sinkt ja die Stimmung in der Wirtschaft.

Was macht Ihnen bei der Eurokrise besondere Sorge?

SINN Ich befürchte noch ein längeres Siechtum von Europas Wirtschaft. Die Krise ist noch lange nicht vorbei. Gerade in Italien verschärft sich aktuell die Lage erneut. Im August und September wurden 67 Milliarden Euro an Kapital abgezogen. Das ist ein alarmierendes Signal und zeigt, dass die Kapitalmärkte wieder in Aufregung sind.Investoren trauen der Sicherheit ihrer Anlagen weniger – was wir auch am Kapitalzustrom nach Deutschland merken.

Für Deutschland und Europa werden Investitionsprogramme gefordert. Was halten Sie davon?

SINN Das würde nur ein Strohfeuer entzünden. Die schwächeren Länder der Eurozone müssen ihre Wettbewerbsfähigkeit erhöhen, um ihre Waren wieder verkaufen zu können. Bisher senken diese Länder ihre Außenhandelsdefizite nur, indem sie weniger importieren. Das hat mit einer eigenen besseren Position am Markt aber nichts zu tun.

Und wie würden Sie für Deutschland höhere Staatsausgaben bewerten?

SINN Höhere Investitionen sind notwendig. Aber dafür brauchen wir nicht die staatliche Budgetpolitik zu lockern. Die Ausgabenspielräume für Investitionen ergeben sich durch zu erwartende Budgetüberschüsse. Unverantwortlich wäre es, nun weitere Schulden zuzulassen, weil in rund 15 Jahren die deutschen Baby- Boomer in Rente gehen. Das wird die Finanzen des Staates hohen Belastungen aussetzen. Die EZB will die Konjunktur mit billigem Geld ankurbeln und den Banken nun verbriefte Risikokredite abnehmen.

Gut so?

SINN Der Leitzins liegt praktisch bei Null – damit hat die traditionelle Geldpolitik ihr Pulver verschossen. Dagegen erleben wir nun die siebte Stufe immer neuer Interventionen am Kapitalmarkt, um die Lage zu stabilisieren. Dabei erhöht gerade die neue Ankündigung der EZB das Risiko für die Steuerzahler enorm.

Was heißt das konkret?

SINN EZB-Präsident Mario Draghi hat angekündigt, die Bilanzsumme der EZB im Zusammenhang mit den ABS-Käufen und anderen Maßnahmen um bis 1000 Milliarden Euro zu erhöhen. Wenn sich ein großer Teil dieser Papiere als Schrott entpuppt, kann das einige hundert Milliarden Euro kosten.

Warum wird die Eurokrise noch lange weitergehen?

SINN Die Länder Südeuropas haben seit der Einführung des Euro massiv an Wettbewerbsfähigkeit verloren, weil sie ihre Löhne kreditfinanziert schneller als die Produktivität erhöhten. Dadurch sind sie viel zu teuer geworden. Das kann nur ganz langsam über viele Jahre, wenn nicht eine ganze Generation korrigiert werden. Trotz einer gewissen Lohnmäßigung haben die Spanier noch immer dreimal so hohe Löhne wie die Polen. Dabei ist ihre Produktivität sicherlich nicht dreimal so hoch. Die Griechen haben mit 13,60 Euro auch noch doppelt so hohe Löhne wie die Polen mit 6,80 Euro.

Welche Option haben wir noch, um die Euro-Krise zu lösen?

SINN Es gibt vier Möglichkeiten, die alle trostlos sind. Wir gehen den Weg in die Transferunion weiter. Große Regionen werden zum Kostgänger der noch halbwegs funktionierenden Länder – auf Dauer wird das immer teurer. Wir können zweitens die schwachen Euro-Länder weiter zu einer rigiden Reformpolitik zwingen – also Deflation und Austerität an der Peripherie. Wir können auch weiter versuchen, die Schulden mit gedrucktem Geld zu beseitigen – auf Dauer droht Inflation, die EZB verletzt ihr Mandat weiter. Und natürlich könnten einzelne Länder irgendwann doch die Eurozone verlassen – dann droht ein Bank-Run wie in Zypern, Kapitalverkehrskontrollen, Panik.

An sich geht Europa doch alle diese Wege zum Teil schon.

SINN Ja, Politik und EZB versuchen, sich durch die Euro-Krise durchzumogeln. Die Lage mancher Länder wie Griechenland wird schöngeredet, um einer Diskussion über notwendige neue Schritte zu entgehen.

Und was schlagen Sie vor?

SINN Um die EU und den Euro zu retten, sind drei Basisschritte denkbar. Wir brauchen eine Schuldenkonferenz, um einen Teil der Staatsschulden, der Bankschulden und der Schulden innerhalb des europäischen Bankensystems („Target-System“) zu streichen. Das ist besser, als die Zinsen auf Null zu setzen, wie wir es heute tun, weil die Zinssenkung die Verschuldungslawine immer weiter steigen lässt. Als Gegenleistung könnte es eine Reihe an Auflagen geben wie die Einführung eines deutlich besseren Steuersystems und vor allem die Belastung der Wohlhabenden in diesen Staaten.

Und zweitens?

SINN Die Zentralbanken müssen harte Budgetbeschränkungen erhalten, damit sie aufhören, einfach für ihre Banken Geld zu drucken.

Und drittens?

SINN Wir müssen temporäre Austritte nicht wettbewerbsfähiger Länder aus der Währungsunion ermöglichen. Sie würden stark abwerten, würden dann wieder deutlich wettbewerbsfähiger und könnten anschließend wieder zurückkommen.

Die Euro-Befürworter würden das als Ende der Währungsunion sehen.

SINN Ich bin Befürworter des Euro und der Europäischen Union. Darum befürworte ich auch diese „atmende Währungsunion“, um die Übergangszeit hin zu einem stärkeren Europa zu managen. Das wäre aber kein Europa einer Schuldenunion, sondern einer politischen Union.

Das hieße?

SINN Wir hätten eine starke politische Zentralgewalt, die die Schuldenländer maßregeln könnte, aber ökonomisch müsste jeder Einzelstaat für seine eigenen Schulden gerade stehen, wie es in beispielsweise in den USA oder ähnlich bei den Schweizer Kantonen der Fall ist.