ifo Standpunkt Nr. 164: Letzte Rettung für den Süden

Autor/en
Hans-Werner Sinn
München, 31. März 2015

In den inflationären Kreditblasen, die der Euro erzeugte, wurden die südeuropäischen Krisenländer viel zu teuer. Um wieder wettbewerbsfähig zu werden, müssen Länder wie Griechenland, Spanien oder Portugal die Preise für ihre eigenen Güter relativ zum Rest der Eurozone und im Vergleich zum Krisenbeginn um etwa 30 Prozent verringern. Italien muss vermutlich zehn bis 15 Prozent billiger werden. Tatsächlich haben sich Portugal und Italien einer solchen “realen Abwertung” bislang vollständig verweigert, und in Griechenland und Spanien gingen die relativen Preise nur um acht beziehungsweise sechs Prozent zurück.

Unter den Krisenländern hat allein Irland die Kurve gekriegt, weil seine Blase schon Ende 2006 platzte, als es noch keine Rettungsschirme gab. Da keiner half, schnallte man den Gürtel enger und senkte die relativen Güterpreise um 13 Prozent. Die Rosskur hat dem Land inzwischen einen Superboom verschafft.

Relativ gesehen, erhielt Griechenland die meisten Rettungsgelder und wies den größten Zuwachs der Arbeitslosigkeit auf. Die öffentlichen Kredite, die das Land vom EZB-System und der Staatengemeinschaft bekam, haben sich in den letzten fünf Jahren von 53 Milliarden Euro (Februar 2010) auf mittlerweile 324 Milliarden Euro oder 181 Prozent des BIP bald versechsfacht, und die Arbeitslosigkeit hat sich von elf auf 26 Prozent mehr als verdoppelt.

Es gibt vier Reaktionsmöglichkeiten für die Politik und die Wirtschaft. Erstens kann Europa zu einer Transferunion werden, indem der Norden dem Süden immer mehr Kredit gibt und später erlässt. Zweitens kann der Süden deflationieren. Drittens kann der Norden inflationieren. Viertens können nicht mehr wettbewerbsfähige Länder aus der Eurozone austreten und ihre neue Währung abwerten.

Jeder dieser Wege ist mit gravierenden Nebenwirkungen verbunden. Der erste erzeugt eine dauerhafte Abhängigkeit von den Transfers und zementiert die falschen Preise. Der zweite treibt viele Schuldner der Krisenländer in den Konkurs. Der dritte enteignet die Gläubiger, die vor allem in Deutschland sitzen. Der vierte könnte Ansteckungseffekte über die Kapitalmärkte hervorrufen, was zur Einführung von Kapitalverkehrskontrollen zwingt.

Die europäische Politik hat sich bislang auf öffentliche Kredite an die Krisenländer zu Zinsen nahe null konzentriert, was einem Transfersystem schon nahekommt. Aber jetzt versucht die EZB mit ihrem Quantitative Easing (QE) den dritten Weg. Das erklärte Ziel ist es, die Inflationsrate durch den Aufkauf von Wertpapieren im Umfang von über 1.100 Milliarden Euro von knapp unter null auf knapp unter zwei Prozent zu vergrößern.

Dies würde den Südländern in der Tat einen Ausweg aus ihrer Wettbewerbsfalle ermöglichen, denn wenn sie mit ihren Preisen auf der Stelle treten, während der Norden nach-inflationiert, können sie ihre relativen Güterpreise allmählich wieder senken, ohne dass es allzu sehr schmerzt. Freilich muss der Norden dann schneller als nur um zwei Prozent inflationieren.

Angenommen Südeuropa wählt eine Inflationsrate von null Prozent und Frankreich eine von einem Prozent. Dann müssten die deutschen Preise jährlich um etwa vier Prozent zulegen, während die Preise der restlichen Eurozone um jährlich zwei Prozent steigen, um das erklärte Inflationsziel zu erreichen. Das müsste noch für etwa zehn Jahre so durchgehalten werden, bis die Eurozone wieder im Gleichgewicht ist. Das deutsche Preisniveau wäre dann etwa 50 Prozent höher als heute, und die Sparbücher wären um ein Drittel leichter.

QE wird wirken, denn das viele Geld, das nun in Umlauf kommt, wird auch ins Ausland drängen und den Euro abwerten. Das haben ähnliche Erfahrungen der USA, Großbritanniens und Japans gezeigt. Die Abwertung des Euros wird eine gewisse Inflationierung bereits über die Erhöhung der Import- und Exportpreise herbeiführen. Ob sie reicht, steht freilich auf einem anderen Blatt. Auch besteht die Gefahr, dass Japan, China und die USA nicht lange stillhalten werden und die Welt stattdessen in einen Währungskrieg hineinrutscht.

Vor allem aber steht zu befürchten, dass die Südländer, statt bei den Preisen auf der Stelle zu treten, ihre Austeritätspolitik aufgeben und die Wirtschaft durch immer mehr Staatsverschuldung anheizen. Dann wäre für die Wettbewerbsfähigkeit nichts gewonnen, und der Euroraum würde nach einem anfänglichen Strohfeuer in die Dauerkrise zurückkehren. Man kann nur hoffen, dass das nicht passiert, weil die Südländer der Verlockung des billigen Geldes widerstehen. Sie haben jetzt ihre letzte Chance.

Hans-Werner Sinn
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Institut

Erschienen als “Letzte Rettung für den Süden”, Handelsblatt, 31. März 2015, S. 48; sowie als “Europe’s Easy-Money Endgame” bei Project Syndicate.