In öffentlichen Diskussionen über wirtschaftliche Fragen geben meist Volkswirte den Ton an. Betriebswirte sollten sich stärker einbringen – denn auch sie haben Wichtiges beizutragen.
In der breiten Öffentlichkeit findet die Betriebswirtschaftslehre (BWL) kaum statt, obwohl sie das mit Abstand beliebteste Studienfach ist. Geht es in Talkshows um ökonomische Fragen, geben meist Volkswirte den Ton an, von denen es viel weniger gibt als Betriebswirte. Die BWL sollte sich stärker einbringen und öfter zu Wort melden, denn auch sie hat Entscheidendes beizutragen. Die großen wirtschaftspolitischen Baustellen wie Rente, Gesundheitswesen, Fachkräftemangel, Energiewende, Bürokratieabbau oder Infrastruktur erfordern nicht allein gesamtwirtschaftliche Expertise, wie Volkswirte sie liefern. Auch an der wirtschaftlichen Basis, also in den Unternehmen und Haushalten, müssen eigenverantwortlich Weichen gestellt werden.
Beispiele für wichtige einzelwirtschaftliche Aufgaben gibt es genug. Um den Zusammenbruch des Gesundheits- und Rentensystems zu verhindern, reicht es nicht, den Staatshaushalt umzuschichten und die Sozialversicherungen zu reformieren. Es sind darüber hinaus betriebswirtschaftliche Ideen nötig, etwa um Krankenhäuser, Pflegeheime oder Praxen so zu organisieren, dass Ärzte und medizinisches Personal sich stärker auf Patienten, Diagnosen und Therapien konzentrieren können, anstatt Formulare auszufüllen.
Ebenso wenig lässt sich der Bürokratieabbau allein dadurch bewältigen, überflüssige Regeln abzuschaffen und Vorschriften zu vereinfachen. Vielmehr geht es um wirkungsvollere Prozesse in der Verwaltung, also um die interne Organisation von Behörden. Das ist ein ureigenes Spielfeld der Betriebswirtschaftslehre, unabhängig davon, ob Abläufe in Ämtern und Staatsbetrieben gestrafft werden sollen oder in privaten Unternehmen. Abgesehen davon wuchert Bürokratie nicht nur im Staat, sondern auch in Konzernen.
In öffentlichen Institutionen schwach repräsentiert
Dass betriebswirtschaftliche Köpfe das Licht der Öffentlichkeit keineswegs scheuen müssen, zeigt das Beispiel von Frank-Jürgen Weise. Der ehemalige Leiter der Bundesagentur für Arbeit und des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge hat während seiner Ausbildung zum Bundeswehroffizier BWL an der Fachhochschule des Heeres studiert. Auf seinem erstaunlichen Karriereweg hatte er immer wieder mit gesellschaftlich brisanten und akuten Themen zu tun. Abgesehen von seinen Einsätzen in Sachen Arbeitslosigkeit und Einwanderung, war er Vorsitzender der 2010 eingesetzten Bundeswehr-Strukturkommission.
Ein weiteres Beispiel eines öffentlichkeitswirksamen Betriebswirts ist Ferdinand Dudenhöffer. Er hat zwar Volkswirtschaftslehre studiert, war aber BWL-Professor, erst für Marketing, dann für Automobilwirtschaft. Wann immer es etwas zur deutschen Leit- und Leidbranche des Motorbaus zu kommentieren gab, war Dudenhöffer zur Stelle, was freilich auch als geschicktes Eigenmarketing verstanden werden darf. Ein weiteres Rollenmodell ist der BWL-Professor Patrick Velte von der Universität Lüneburg, der die Nachhaltigkeit zu seinem großen Thema gemacht hat.
Gemessen an ihrer Bedeutung als Studienfach, ist die Betriebswirtschaftslehre in öffentlichen Institutionen schwach repräsentiert. Der Verband der Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer für Betriebswirtschaft (VHB) hat sich daher für mehr betriebswirtschaftliche Expertise im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ausgesprochen (F.A.Z. vom 17. Februar 2025). In den Sachverständigenrat werden meist Volkswirte berufen; zu den wenigen Ausnahmen zählte der BWL-Professor Horst Albach, der dem Gremium von 1978 bis 1983 angehörte. Etwas besser sieht es mit der betriebswirtschaftlichen Expertise im ansonsten von Juristen und Staatswissenschaftlern dominierten Deutschen Bundestag aus. Immerhin 36 der insgesamt 630 Abgeordneten haben Betriebswirtschaft, Finanzwissenschaft oder Personalmanagement studiert.
Betriebswirte müssen lernen, sich zu wichtigen Fragen ebenso routiniert und prägnant zu Wort zu melden wie die in Energiefragen omnipräsente Wirtschaftswissenschaftlerin Claudia Kemfert vom Wirtschaftsinstitut DIW oder der ehemalige Ifo-Chef Hans-Werner Sinn. Genauso wie Volkswirte sich regelmäßig zu Renten, Steuern oder Haushalt einlassen, sollten Betriebswirte die Geschäftspolitik börsennotierter Unternehmen oder führender Mittelständler beleuchten und falls nötig kritisieren. Solche Unternehmen sind zwar Privateigentum, trotzdem gehen sie die Öffentlichkeit an, sei es wegen ihrer Rolle als Arbeitgeber oder wegen ihrer Bedeutung als Anlageobjekt für die private Altersvorsorge.
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