Vier Handlungsoptionen für Italien

Auch nach der gescheiterten Regierungsbildung in Italien bleiben die Forderungen von Lega und Cinque Stelle auf der Agenda. Sie könnten den Euro-Austritt forcieren.
Hans-Werner Sinn

WirtschaftsWoche, 30. Mai 2018.

Darf Europa nach der gescheiterten Regierungsbildung in Italien aufatmen? Die Antwort lautet: nur kurz. Durch den „Coup von oben“, den Staatspräsident Mattarella betrieb, ist die politische Revolution aufgeschoben, aber nicht aufgehoben. Die Forderungen nach massiv steigenden Staatsausgaben und Schuldenerlassen sind ebenso wenig vom Tisch wie Gedankenspiele über das Verlassen der Währungsunion. Wenn es zu Neuwahlen kommt, droht ein noch stärkerer Rechtsruck. Dann könnte sich Lega-Chef Salvini vielleicht sogar mit Silvio Berlusconi verbünden, der schon 2011 Geheimverhandlungen über den Austritt Italiens aus dem Euro führte.

Fakt ist: Lega und Cinque Stelle sind im Aufwind und scheren sich nicht um die Konsequenzen ihrer Politik für die langfristige Stabilität des Gemeinwesens. Dass der (nur unter dem Druck der Märkte entschärfte) erste Entwurf des Koalitionsvertrags vorsah, von der Europäischen Zentralbank (EZB) einen Schuldennachlass von 250 Milliarden Euro zu verlangen, zeigt, was die Stunde geschlagen hat. Schon jetzt schiebt Italien einen Schuldenberg von 2,3 Billionen Euro vor sich her. Höhere Ausgaben und massive Steuersenkungen könnten das Haushaltsdefizit um vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) vergrößern. Und das, obwohl das Defizit ohne die zinssenkenden Maßnahmen der EZB zuletzt bei gut sechs Prozent gelegen hätte (und nicht bei den offiziellen 2,3 Prozent). Hinzu kommt, dass die italienische Notenbank mit etwa 440 Milliarden Euro beim Euro-System der Zentralbanken verschuldet ist (Target-Kredite). Das alles zeigt, wie unhaltbar die Finanzlage der drittgrößten Volkswirtschaft der Euro-Zone geworden ist. Zum Sprengsatz für die Währungsunion könnte vor allem die Idee einer Parallelwährung werden. Zu einem solchen SchuldscheinKonstrukt dürfte es über kurz oder lang vermutlich schon deshalb kommen, weil sich das höhere Defizit kaum anders wird finanzieren lassen. Die Idee: Der Staat gibt handelbare und klein gestückelte Schuldscheine aus. Diese stellen eine neue Form von Banknoten dar, weil man sie auch für private Zahlungen verwenden kann. Ob man die neue Währung dann "Minibots" oder gleich Lira nennt, ist einerlei. Die Währung wird auf Euro denominiert sein, doch nicht so viel wert sein wie echte Euro.

Die neue Währung würde den Euro als Transaktionsmittel zum Teil entbehrlich machen, weil sie der Wirtschaft Ersatzliquidität zuführt. Italien kann sich dann Euro-Überweisungen in den Rest des Währungsgebiets leisten und dafür Überziehungskredit beziehen, ohne dass es zu Liquiditätsengpässen kommt. Das gemeinsame Target-Zahlungssystem ermöglicht es, indirekt mit der neuen Währung im Ausland Güter und Vermögensobjekte zu kaufen sowie private Schulden zu tilgen. Größter Kreditgeber dürfte die Bundesbank sein.

Eine Parallelwährung stellt auch ein erhebliches Drohpotenzial bei den Verhandlungen über die vom französischen Präsidenten Macron geforderte Transferunion dar. „Geld her, oder wir treten aus“ – das könnte die versteckte Drohung künftiger italienischer Regierungen sein. Wenn Deutschland sich sträuben sollte, Geld (also Bezugsrechte für deutsche Waren und Vermögensobjekte) zu verschenken oder weitere Bürgschaften zulasten nachfolgender Generationen zu geben, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Italien den Euro aufgibt. Die Bundesbank wird dann gezwungen sein, ihre Target-Forderungen teilweise abzuschreiben. Was freilich weniger schlimm wäre als gemeinhin gedacht, da die Forderungen kaum noch etwas wert sind.

Man muss aber auch Italien verstehen. Das Land weiß nicht ein noch aus, weil es wie alle Südländer in der EuroBlase vor dem Lehman-Crash und der Finanzkrise zu teuer wurde und seine Wettbewerbsfähigkeit verlor. Relativ zu Deutschland wurden Italiens Güter seit 1995 – dem Jahr, als der Euro endgültig beschlossen wurde – um 38 Prozent teurer. Die Politik hat nun vier Handlungsoptionen. Erstens kann Italien durch eine Sparpolitik konjunkturell auf die Bremse treten, um seine überhöhten Preise zu senken. Das aber hat schon die vergangenen zehn Jahre nicht funktioniert. Zweitens kann die EZB die nördlichen Länder „nachinflationieren“, um die relative Wettbewerbsfähigkeit Italiens zu erhöhen. Das hat sie jahrelang probiert – mit mäßigem Erfolg. Drittens könnte sich Italien im Rahmen einer europäischen Transferunion über Wasser halten. Das würde für die anderen Staaten extrem teuer und dort massive politische Gegenreaktionen provozieren. Ganz Italien käme in die Situation des Mezzogiorno, der schon ewig am Tropf hängt. Viertens kann Italien aus der Währungsunion austreten, abwerten und so wieder wettbewerbsfähig werden.

Lega und Cinque Stelle haben erkannt, dass ihnen nur die beiden letztgenannten Möglichkeiten bleiben. Eine Parallelwährung würde dazu dienen, die EU-Partner gefügig zu machen. Andererseits böte sie die Option, sofort aus dem Euro-Verbund auszutreten. Es ist auch für Deutschland an der Zeit, sich zu fragen, ob die Rettungspolitik der vergangenen Jahre ihr Ziel erreicht hat. Oder ob die Probleme Italiens dadurch nur verschleppt wurden.

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