Friedensunion statt Fiskalunion

Europa braucht jetzt dringend eine neue Sicherheitspartnerschaft, mahnt Hans-Werner Sinn.
Hans-Werner Sinn

Handelsblatt, 31. Mai 2017, S. 48

Vor dem Hintergrund des Rückzugs der USA aus der gemeinsamen Sicherheitspolitik und des Brexits hat Emmanuel Macron, der neue, dynamische Präsident Frankreichs, die Chance und die Verpflichtung, zusammen mit den anderen europäischen Ländern die EU-Verträge neu zu gestalten. Aber was soll geschehen?

Was bislang von Macron zu vernehmen war, ist, bis auf die Europahymne, die er bei seiner Amtseinführung spielen ließ, enttäuschend. Der neue Präsident will die Probleme seines Landes offenkundig auf dem Rücken anderer Länder abladen. Pläne, wie Frankreichs siechende Industrie, deren Produktion immer noch zwölf Prozent unter dem Vorkrisenniveau vom Herbst 2007 liegt, aus eigener Anstrengung wieder flottgemacht werden könnte, sind nicht ersichtlich.

Es soll keine Erhöhung des Renteneintrittsalters, keine Änderung der 35-Stunden-Woche, keine Einschränkung des Kündigungsschutzes geben. Aber Transfers seitens anderer Länder sollen her, um den zusammengebrochenen Absatzmärkten Frankreichs im Süden des Euro-Raums neue Kaufkraft zuzuführen. Das ist, zugegeben, eine sehr holzschnittartige Darstellung des Programms, mit dem Emmanuel Macron gewählt wurde. Sie trifft jedoch den Kern.

Was sonst könnte gemeint sein, wenn eine gemeinsame Einlagensicherung, eine gemeinsame Arbeitslosenversicherung, eine gemeinsame Steuer, ein gemeinsames Budget und gemeinsam besicherte Verschuldungsmöglichkeiten für einen neu zu schaffenden Euro-Finanzminister gefordert werden. Die Motive sind allzu durchsichtig.

Und was soll die Forderung nach einem neuen Parlament für die Länder der Euro-Zone zusammen mit der Forderung eines Europas der zwei Geschwindigkeiten anderes sein, als die Spaltung der EU zu propagieren? Wenn die Euro-Zone zu einer Transferunion mit einem eigenen Parlament ausgebaut wird, wie Macron es will, wird der Graben an der Nord- und Ostseite der EU, der Dänemark, Schweden, Polen, die tschechische Republik, Kroatien, Ungarn, Rumänien und Bulgarien vom Rest der EU trennt, nur noch weiter vertieft. Donald Tusk, der polnische Ratspräsident der EU, hat dazu sarkastisch bemerkt, dass es ein Europa der zwei Geschwindigkeiten bereits bis 1989 gegeben habe.

Die deutsche Bundesregierung und das deutsche Parlament können Macron nicht helfen, selbst wenn sie es wollten. Der Bundestag hat nämlich nicht das Recht, sein Budgetrecht oder auch nur Teile davon auf europäische Instanzen zu übertragen. Dazu ist vielmehr ein Volksentscheid nötig. Das mächtige deutsche Verfassungsgericht wird sich in dieser Frage, anders als beim OMT-Urteil, nicht verbiegen lassen, denn diesmal bleibt der EUGH außen vor.

Dessen ungeachtet ist es richtig, dass die europäische Integration voranschreiten sollte. Im Bereich der Sicherheitspartnerschaft und bei den grenzüberschreitenden Verkehrswegen ist noch viel zu tun. Der Sozialtourismus in der EU muss gestoppt werden. Die Selbstbedienung mit den Target-Überziehungskrediten bei der Bundesbank, die bald 850 Milliarden Euro überschreiten werden, muss beendet werden.

Aber vor allem muss Europa nun endlich seine Lehren aus den Kriegen des 20. Jahrhunderts ziehen und die nationalen Armeen abschaffen, denn das ist es doch vor allem, was die europäische Friedensunion, die in den Sonntagsreden der Politiker immer wieder beschworen wird, bedeuten muss. Großbritannien wollte die gemeinsame Armee nicht, aber das ist jetzt nicht mehr wichtig. Die Regierungschefs der Nachkriegszeit wollten sie indes und hatten dazu auch schon den Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft paraphiert. Der Vertrag scheiterte 1954 am Veto der französischen Nationalversammlung.

Es ist nun an der Zeit, einen neuen Anlauf zu wagen, der eines dynamischen jungen Präsidenten bedarf, wie Emmanuel Macron einer ist. Das deutsche Volk wäre vermutlich dafür zu gewinnen, der Zusammenlegung der Armeen in einem formellen Volksentscheid, der gleichzeitig auch die Budgetfrage regeln könnte, zuzustimmen. Und vermutlich ließen sich auch die Völker Osteuropas zur Zustimmung bewegen. Hier liegt die Chance einer europäischen Einigung, die Macron den Eintrag in den Geschichtsbüchern sichern würde.

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