Fünf Minuten mit Hans-Werner Sinn

Hans-Werner Sinn

Harvard Business Manager, 19.04.2016, S. 114

Sie gelten als einflussreichster Ökonom Deutschlands. Was ist Ihr Geheimrezept, um Gehör zu finden?

Sinn: Als Präsident des ifo Instituts wurde ich von alleine gehört. Allerdings habe ich mich auch getraut, zu einem breiten Themenspektrum etwas zu sagen. Ich habe in meinem Leben in vielen Bereichen geforscht. Und wenn mir die nötigen Informationen fehlten, um mir eine Meinung zu bilden, dann habe ich sie mir erarbeitet.

Bild-Chefredakteur Kai Diekmann hat Sie als eine „Marke wie Mercedes-Benz“ bezeichnet. Wie wird man als Person zur Marke?

Sinn: Ich habe keine Markenstrategie. Davon kann keine Rede sein. Es haben sich einfach immer spannende Wirtschaftsthemen ergeben. Wir erleben seit einigen Jahren viele Krisen zugleich. Eigentlich war meine ganze ifo-Zeit eine Zeit der Krisen. Dabei haben sich immer mehr Leute dafür interessiert, was ich dazu zu sagen hatte.

Muss man provozieren, um in der Öffentlichkeit Erfolg zu haben?

Sinn: Den Vorwurf verstehe ich nicht. Ich habe gar nicht provoziert. Ich sage die Dinge so, wie ich sie als Ökonom sehe. Ich muss nicht wie ein Politiker Kreide fressen. Mir geht es um die Wahrheit und um volkswirtschaftliche Erkenntnisse. Das empfinden insbesondere jene als provokant, die sich in Ideologien verliebt und sich Sprachrituale angewöhnt haben, die sie sich so lange zurufen, bis sie sie für die Wahrheit halten. Solche Leute gibt es in allen Ländern. In Deutschland, Frankreich und Italien gibt es besonders viele aufseiten der politischen Linken.

Die meisten Menschen schrecken vor Widerständen zurück. Sie fangen dann erst richtig Feuer. Was gefällt Ihnen am Streit?

Sinn: Persönlicher Streit gefällt mir nicht, der gelehrte Diskurs aber schon. Wenn ich angegangen werde, wächst mein Widerstandsgeist. Wissenschaftlich zu arbeiten ist sehr mühsam. Man muss den inneren Schweinehund, letztlich die eigene Faulheit überwinden. Dazu muss der Adrenalinspiegel auf ein gewisses Niveau steigen. Dabei helfen Attacken von außen. Wenn ich viel Unsinn höre oder angerüpelt werde, raffe ich mich auf.

Sollten auch die deutschen Manager mehr Haltung zeigen?

Sinn: Für Manager ist es eine verständliche Strategie, Harmonie im Unternehmen herzustellen. Manchmal hätte ich mir jedoch mehr Engagement gewünscht. Als wir vor 14 Jahren über die deutsche Wettbewerbsschwäche und die Notwendigkeit einer stärkeren Lohnspreizung diskutiert haben, habe ich gekämpft – aber die Unternehmen verhielten sich absolut still. Die Manager sagten kein Wort, weil sie den Betriebsfrieden nicht stören wollten. Sie haben sich darauf verlassen, dass andere die Kohlen aus dem Feuer holen. Ich verstehe das, aber ich bin darüber nicht erfreut. Auch Manager haben eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Sie kennen die Wirtschaft und dürfen das Feld nicht den Unkundigen überlassen.

Wie verbringen Sie Ihren Ruhestand?

Sinn: Es strahlt noch allerlei aus der ifo-Zeit herüber. Ich will mehr Einladungen zu Vorträgen annehmen. Auch in meiner Forschung ist viel liegengeblieben. Jetzt habe ich die Zeit, mich darum zu kümmern. Die Energiewende macht mir Sorge, die demografische Entwicklung, auch die Zukunft des Euro – wer weiß, wie das weitergeht?

Ihr Erkennungszeichen ist der Bart. Kommt der jetzt ab?

Sinn: Ich trage den Bart seit meiner Studienzeit. Warum sollte ich ihn abrasieren? Er gefällt meiner Frau noch immer, und die traf seinerzeit die Entscheidung. Aber ja, ich werde durch ihn erkannt. Wenn ich untertauchen will, rasiere ich ihn ab.