Entweder ist Merkel nicht lernfähig ...

„. . . oder sie fürchtet, dass man ihr das Zugeständnis, Fehler gemacht zu haben, als Schwäche auslegen könnte.“ Das sagt Deutschlands bekanntester Ökonom Hans-Werner Sinn, der heute 70 wird.
Hans-Werner Sinn

Abendzeitung München, 7. März 2018, S. 12.

Hans-Werner Sinn, einer der populärsten Wirtschaftswissenschaftler und langjähriger Präsident des Münchner ifo-Instituts, wird heute 70. In der AZ spricht er über politische Krisen, seine kurze Zeit als SPD-Mitglied und Fehler der Kanzlerin. 

Herr Sinn, Sie sind der wohl bekannteste Ökonom Deutschlands. Wenn Sie an Ihrem 70. Geburtstag zurückblicken: Auf was in Ihrem Leben sind Sie besonders stolz?

Dass die Beziehung zu meiner Frau schon ein halbes Jahrhundert währt, dass wir drei prächtige Kinder großgezogen haben und dass wir viele Hürden des Lebens ohne größere Blessuren nehmen konnten. 

Sie sprechen Klartext, ecken auch mal an. Hatten sie jemals das Gefühl, jemand aus der Politik befolgt Ihren Rat?

An der Riester-Rente habe ich mitgewirkt, und ich hatte, wenn auch nur indirekt, Einfluss auf die Agenda 2010. Immerhin waren das zwei sehr wichtige Reformen. Vielleicht habe ich in der Euro-Krise mithelfen können, dass die Vergemeinschaftung der Haftung für die Schulden anderer Länder etwas weniger weit vorangetrieben wurde als es sonst geschehen wäre. 

Sie waren kurze Zeit SPD-Mitglied, zuvor bei den Falken, der Jugendorganisation der Sozialdemokraten. Wie sehr leiden Sie mit beim Absturz der stolzen Volkspartei?

Meine Mitgliedschaft ist schon ein halbes Jahrhundert her, aber ich sehe sehr wohl die tragende Rolle, die die SPD in Deutschland hatte. Die SPD hat sich durch die Abkehr von Schröders Reformprogramm selbst ins Abseits manövriert. Der Linksruck der CDU und das Erstarken der Linken trugen zum Niedergang bei. 

Angela Merkel hat kurz nach der Bundestagswahl mit herben Verlusten für ihre CDU gesagt: „Ich sehe nicht, was wir anders machen sollten.“ Wie denken Sie über diese Aussage – warum fällt es Merkel so schwer, Fehler einzugestehen?

Entweder ist sie nicht lernfähig – oder sie befürchtet, dass man ihr das Zugeständnis, Fehler gemacht zu haben, als Schwäche auslegen könnte. Wenn ich meiner Frau gegenüber so auftreten würde wie die Kanzlerin gegenüber dem deutschen Volk, wäre sie zu Recht erzürnt. 

Haben Sie die Befürchtung, dass mit einer Neuauflage der Großen Koalition einfach weitergemerkelt wird, das Land weiter von ihrer Politik narkotisiert wird?

Ja. 

Im Gegensatz zur Kanzlerin hat man das Gefühl, dass Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zumindest Visionen für Europa hat. Er fordert zum Beispiel einen gemeinsamen Finanzminister und ein Euro-Budget. Was halten Sie von diesen Ideen?

Wenig. Macron ist bereit, die Verteidigung besser zu koordinieren und die Grenzen zu schützen. Das finde ich sehr richtig. Doch will er auch die Eurozone zu mehr Staatlichkeit verdichten. Mit deutschem Geld will er das französische Hinterland im Mittelmeerraum stärken und nimmt dabei in Kauf, dass eine Trennlinie durch Mitteleuropa gezogen wird, also jenen Kulturkreis, zu dem auch Deutschland gehört. Der polnische Ratspräsident Donald Tusk hat dazu gesagt, eine solche Trennlinie habe Europa bis 1989 bereits gehabt. 

Man braucht sie nicht noch einmal?

Dem stimme ich zu. Man braucht auch keine Trennlinie zwischen Deutschland und seinen nördlichen Nachbarn Dänemark und Schweden, die ja dem Eurosystem ebenfalls nicht angehören. 

Sie fordern in Ihrem Buch, die lockere Schuldenpolitik zu beenden. Würde das nicht klamme Staaten dazu bewegen, über einen Euro-Austritt nachzudenken? Sie waren auch der Meinung, Griechenland hätte raus gemusst.

Ich hätte es am liebsten, wenn kein Land den Euroraum verlassen müsste, doch bin ich strikt dagegen, Wackelkandidaten mit deutschem Geld und Bürgschaften drin zu halten, wenn sie dort nicht zurechtkommen. Die wirtschaftlichen Probleme mancher Länder sind viel zu groß, als dass das deutsche Geld reichen würde und man schwächt mit diesem Geld nur die Bereitschaft, die notwendigen, schmerzlichen Reformen selbst anzugehen. Im Übrigen sät man Streit, weil dann immer mehr Geld gefordert wird, mehr als man zu geben bereit ist. 

Griechenland ist das beste Beispiel.

Nachdem Deutschland im Jahr 2010 ein gigantisches Rettungsprogramm für dieses Land und seine Geldgeber aufgelegt hatte, wurden dort die Hakenkreuzfahnen geschwenkt und Deutschland wurde der Knausrigkeit bezichtigt. Man kam sogar mit Reparationsforderungen. „Den Italienern jetzt Bürgschaften zu geben, wäre hochgefährlich“ 

Am Sonntag hat Italien gewählt. Welche Folgen hat das Ergebnis für Europa?

Das war ein Erdrutsch, der die politische Landschaft nachhaltig verändert, denn die Protestpartei „Cinque Stelle“ erhielt mit Abstand die meisten Stimmen. Alle euroskeptischen Parteien zusammengenommen haben mehr als zwei Drittel der Stimmen bekommen. Die Hoffnung der Sozialdemokraten unter Renzi, die „Forza d’Italia“ mit Berlusconi aus dieser Phalanx herausbrechen zu können, um eine Koalitionsregierung zu bilden, hat sich nicht erfüllt. Insofern muss man sich jetzt auf eine schwierige Zeit für den Euro einstellen. 

Die deutsche Regierung wird im Verein mit Frankreich wohl versuchen, Italien mit viel Geld im Euro zu halten.

Ich befürchte aber, dass wir so viel Geld, wie dafür nötig wäre, gar nicht haben. Und stattdessen Bürgschaften zu geben, wäre hochgefährlich. Italien ist schließlich nicht Griechenland. 

Die Ankündigung Donald Trumps, Strafzölle auf Stahl und Aluminium zu erheben, hat in Deutschland Empörung ausgelöst und dürfte hiesige Unternehmen schwer treffen. Welche Folgen hätte ein Handelskrieg zwischen den USA und Europa?

Die Leidtragenden sind die europäischen Verbraucher, denn europäische Industrielobbys drängen die EU-Kommission, nun ihrerseits Importe aus Amerika zu verteuern. Meine Sorge ist, dass sich die Protektionisten in Frankreich und Südeuropa, die ihre nicht mehr wettbewerbsfähigen Industrien durch Zölle schützen wollen, durchsetzen und neues Öl in das Feuer gießen. Die Aktionen könnten sich aufschaukeln und den Westen insgesamt schädigen. Deutschland als weltoffene Handelsnation würde besonders getroffen. 

Was lässt Sie aktuell optimistisch in die Zukunft blicken?

Die Welt entwickelt sich in Schüben. Jedem Gewitter folgt der Sonnenschein, dann erstrahlt wieder alles in neuem Glanze. Ich habe im Leben manche Krise erlebt. In meiner neuen Autobiografie beschreibe ich, wie ich versucht habe, den Ursachen auf den Grund zu gehen, um Empfehlungen zur Überwindung der Krisen entwickeln zu können. 

Das Interview führte Otto Zellmer.

Nachzulesen auf www.abendzeitung-muenchen.de.