Deutsche Mittlerrolle wäre gut

Britische Banken werden verlieren, alte Industriegebiete hingegen gewinnen, sagt Ökonom Hans-Werner Sinn zu den Brexit-Folgen. Der ehemalige Ifo-Präsident erwarte aber keine weiteren Austritte.
Hans-Werner Sinn

Sparkassenzeitung, 28. Juli 2017, S. 3

DSZ: Herr Professor Sinn, Großbritanniens Premierministerin Theresa May ist aus der Wahl geschwächt hervorgegangen. Wie wird sich das auf die Austrittsverhandlungen auswirken?

Prof. Hans-Werner Sinn: Es wird keine harten Beschlüsse geben, die vorsehen, dass Großbritannien nach zwei Jahren die EU verlässt und dann behandelt wird wie ein Drittland, mit dem keine Abkommen bestehen.

DSZ: Wie werden sich Brüssel und London vermutlich einigen?

Sinn: Man wird Übergangsfristen einräumen, die Zeit lassen, nachzuverhandeln und einige Punkte später zu regeln. Diese Übergangsfristen könnten eine ähnliche Position implizieren, wie sie die EU mit der Schweiz oder Norwegen vereinbart hat. Schwierig werden dürfte es bei der Freizügigkeit, denn die Briten sind nicht bereit, hier nachzugeben. Auch wollen sich die Briten keinesfalls der Gerichtsbarkeit des Europäischen Gerichtshofs unterwerfen, worauf die EU besteht. Ich nehme aber an, dass es auch beim Thema Freizügigkeit einen Kompromiss geben wird. Deutschland täte gut daran, eine Mittlerrolle bei den Brexit- Verhandlungen einzunehmen, die letztlich darauf hinausläuft, dem britischen Wunsch nach einer Fortsetzung des Freihandels trotz einer Beschränkung der Freizügigkeit zu folgen. Dennoch, der Brexit ist per saldo für beide Seiten nicht gut.

DSZ: Wie sieht es wirtschaftlich zurzeit auf der Insel aus?

Sinn: Als Folge des Brexit war ein wirtschaftlicher Einbruch auf der Insel prognostiziert worden. Der ist bis heute ausgeblieben, wie auch der von den Brexit-Gegnern prognostizierte Aktiencrash. Wie gesagt, auch Großbritannien wird per saldo beim Brexit verlieren. Aber nicht alle Briten stehen auf der Verliererseite. Treffen wird es vor allem den Finanzsektor, der nach dem Brexit für die übrige EU bestimmte Geschäfte nicht wie bisher von der Insel aus tätigen kann. Die Abwertung  des britischen Pfundes, die wir schon eine Weile beobachten, wird dauerhaft sein. Der Grund: Sie ist nicht nur durch Kapitalflucht hervorgerufen, sondern auch durch die soeben angeführte Einschränkung des Finanzsektors.

DSZ: Also werden die Briten unter ihrer bisher bedeutendsten Wirtschaftsbranche künftig leiden?

Sinn: Die EU hat den britischen Finanzsektor groß und das Pfund Sterling stark gemacht. London war der wichtigste Finanzplatz in der EU. Die Folge waren neben der Aufwertung weit überdurchschnittlich hohe Löhne in der Londoner City, mit der die Industrie nicht mehr mithalten konnte. Die britische Industrie wurde entscheidend geschwächt und in Teilen sogar vernichtet. Der Brexit wird im Laufe der Zeit allmählich für eine gewisse Umkehr der Verhältnisse sorgen. Das hat Theresa May – aus ökonomischer Sicht betrachtet – schon richtig gesehen. Der Brexit ist kein Nettogewinn für Großbritannien, aber er ist ein Gewinn für die alten Industriegebiete auf der Insel.

DSZ: Brüssel gibt sich sicher, dass es keine weiteren EU-Austritte geben werde. Sie auch?

Sinn: Ich glaube nicht, dass es zu weiteren Austritten aus der EU kommen wird. Großbritannien ist ein Sonderfall. Ich halte es für notwendig, dass die europäische Integration voranschreitet. Aber jetzt geht es darum, ob unter den restlichen EU-Mitgliedern ein Europa der zwei Geschwindigkeiten angestrebt werden soll, wie dies neben der Kommission auch der französische Präsident Macron anstrebt – scheinbar im engen Schulterschluss mit Kanzlerin Angela Merkel. EU-Ratspräsident Donald Tusk kritisiert ein solches Europa mit dem Hinweis, die zwei Geschwindigkeiten hätte man bis 1989 schon einmal gehabt. Das brauche man nicht nochmals. Und in der Tat, so teilt man die EU.

Das Interview führte Dieter W. Heumann.

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