Im Verdeckten schwelt es weiter

Claudia Gabriel, Neue Zürcher Zeitung, 1. Februar 2018, S. 29

Hans-Werner Sinn und Jean-Pierre Roth – zwei Pessimisten zur Finanzkrise vor 10 Jahren.

In der Schweiz sei die in den USA entstandene Finanzkrise am 9. August 2008 angekommen, sagt der damalige Nationalbankpräsident Jean-Pierre Roth. Die Direktion habe während ihrer Morgensitzung die Nachricht erhalten, die Märkte funktionierten nicht mehr und alle Banken verlangten Liquidität. Man habe die Fehler der Notenbanken der 1930er Jahre nicht wiederholen wollen und so viel Liquidität ins System gepumpt, wie nachgefragt worden sei. 

Liquiditätsspritze war richtig 

Liquidität bereitstellen und selbst mit unorthodoxen Mitteln Geld schöpfen, das täten die Notenbanken bis heute. Noch heute verlangten die Geschäftsbanken von der Schweizerischen Nationalbank ein Vielfaches der Liquidität, die sie vor der Krise nachgefragt hätten. Das Vertrauen in das Finanzsystem habe im Grunde genommen nicht wiederhergestellt werden können. 

An der Messe Finanz ‘18 in Zürich diskutierten Roth und der deutsche Star-Ökonom Hans-Werner Sinn unter der Leitung von Gerhard Schwarz (ehemals Avenir Suisse und NZZ) über „10 Jahre Finanzkrise“. Sinn und Roth waren sich einig, dass die Krise im Verdeckten weiterschwele. Entstanden war sie in den USA aufgrund von exzessiver Kreditvergabe an schwache Schuldner, neuen Finanzinstrumenten, viel zu laschen Eigenkapitalregeln für die Banken und zu guten Schuldner-Ratings. Europa habe seine eigene Blase genährt, sagte Sinn: Die Zinskonvergenz bei der Einführung des Euro habe dazu geführt, dass die Notenpresse der Euro-Zone das Schuldenproblem der Peripheriestaaten „gelöst“ habe, ohne dass es zu politischen Reformen gekommen sei. Aufgrund der tiefen Zinsen habe sich ein Bauboom ergeben, die Löhne seien ohne Produktivitätsfortschritte gestiegen. Als das Vertrauen weg gewesen sei, habe das abrupt nicht mehr funktioniert. 

Kurzfristig war es richtig, sodann die Geldschleusen zu öffnen, darin waren sich Sinn und Roth einig. Doch als Zeitpunkt des Ausstiegs aus der ultralockeren Geldpolitik wäre 2009 ideal gewesen, als sich zum ersten Mal eine wirtschaftliche Erholung abzeichnete. 

Reformstau in Europa fatal 

Aber die politischen Reformen, die nötig gewesen wären, erfolgten nicht – ausser in Irland, das früh in die Krise geschlittert war und seine Probleme noch ohne Hilfe von EU und EZB lösen musste. Sinn legte eindrücklich dar, wie sich die südlichen Peripherieländer Möglichkeiten eröffneten, selber Geld zu schöpfen und wie der italienische Präsident Berlusconi mit Papandreou in Griechenland einen Geheimplan erstellte, aus dem Euro auszutreten – was Angela Merkel und François Hollande verhinderten, ohne aber die nötigen politischen Reformen (Arbeitsmarktreform, Pensionsreform, Senkung der Staatsausgaben) durchsetzen zu können. 

Die nun andiskutierte Transferunion ist laut Sinn bloss ein weiterer Schritt des Sich-Durchwurstelns. Deutschland werde Südeuropa direkt finanzieren und verhindern, dass das Lohnniveau dort in genügendem Ausmass sinke. Das werde eine EU jenseits von Maastricht. Ein schmerzloser Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik sei jetzt unmöglich. Die Gewinne aufgrund der gesunkenen Zinsen seien nicht zur Seite gelegt, sondern ausgegeben worden, sagte Sinn. Höhere Zinsen hätten Pleiten von Unternehmen zur Folge. 

Vorsicht vor Trumps USA 

Roth hofft, dass Signale aus der Politik, jetzt Reformen anzupacken, kein falscher Alarm seien. Die Notenbanken könnten noch lauter Reformen fordern. Stiege die Produktivität in den Problemländern, würden die Marktteilnehmer Vertrauen fassen, und die aufgeblähte Liquiditätsversorgung und Geldmenge könnten abgeschöpft werden. Sinn favorisiert Schuldenschnitte in Europa bei Banken, Staaten und Notenbanken und den Ausschluss einiger Staaten aus dem Euro – so unrealistisch das sein mag. Nötig wäre eine rasche Normalisierung jedoch, denn dass die nun begonnene Schuldenwirtschaft der Trump-Regierung in den USA ein gutes Ende nimmt, glaubt keiner der beiden Doyens.