Der Euro ist keine Erfolgsstory

Der Euro ist 20 Jahre alt. Kein Grund zum Feiern: Selbst der größte Euro-Enthusiast muss zugeben, dass Europa sich mit der Gemeinschaftswährung verhoben hat.
Hans-Werner Sinn

Handelsblatt (ref. Project Syndicate), 1. August 2018, S. 48.

Wenn man den Zeitpunkt der Festlegung der Wechselkurse im Mai 1998 als Startpunkt setzt, ist der Euro 20 Jahre alt. Das erste Jahrzehnt war Party in Südeuropa, im zweiten herrschte Katerstimmung – und das dritte steht im Zeichen einer zunehmenden Radikalisierung.

Die Party kam durch den billigen Kredit zustande, den die Kapitalmärkte Südeuropa offerierten. Plötzlich war Geld genug da, die Gehälter der Staatsbediensteten und die Renten zu erhöhen und mehr private Konsum- und Investitionsausgaben zu finanzieren. Die Geldflut zeitigte inflationäre Wirtschaftsblasen, die platzten, als die Lehman-Krise Europa erfasste.

Zurück blieben überteuerte Torsi einst halbwegs wettbewerbsfähiger Volkswirtschaften, die in Schwierigkeiten kamen, da sich die Kapitalmärkte der Fortführung der Kreditfinanzierung verweigerten.

Die Länder Südeuropas druckten sich nun das Geld, das sie sich nicht mehr leihen konnten. Begünstigt durch eine immer lockerer werdende Pfänderpolitik desEZB-Rats sowie die vom Rat tolerierte Annahme von ELA- und ANFA-Krediten zogen sie Hunderte von Milliarden Euro an Target-Überziehungskrediten aus dem Euro-System.

Dann wurden ab 2010 fiskalische Rettungsschirme der Staatengemeinschaft aufgespannt. Da die Märkte diese Schirme als unzureichend ansahen, gab die EZB im Jahr 2012 im Rahmen das OMT-Programms eine unbegrenzte Deckungszusage für die Staatspapiere der Euro-Länder, was diese Papiere faktisch zu Euro-Bonds machte.

Schließlich entschloss sich die EZB 2015 sogar, ihr QE-Programm aufzulegen. Die Notenbanken des Euro-Systems erwarben für 2,4 Billionen Euro Wertpapiere, von denen zwei Billionen auf Staatspapiere entfielen. So schoss die Zentralbankgeldmenge von 1,2 Billionen Euro auf über drei Billionen Euro in die Höhe.

Leider wurde das neue Geld, das auch von den Zentralbanken Südeuropas verliehen wurde, nicht für eine wachsende heimische Wirtschaft eingesetzt, sondern primär nach Deutschland überwiesen, um dort Waren, Dienstleistungen, Aktien, Immobilien und Firmen zu erwerben oder zumindest Bankkonten zu füllen, die man vor einem möglichen Währungsschnitt schnell noch in deutsche Anlagen würde umtauschen können. Deutschlands Exportüberschüsse wurden durch die Güterkäufe belebt.

Südeuropäische Länder sind weiterhin nicht wettbewerbsfähig

Zur Jahresmitte 2018 war der Bestand der netto nach Deutschland überwiesenen Gelder, die sogenannte Target-Forderung der Bundesbank gegen das Euro-System, auf fast 976 Milliarden angestiegen. Das Geld war eine Art ewiger, bei der Bundesbank bezogener Überziehungskredit, der den Sonderziehungsrechten beim Internationalen Währungsfonds ähnlich ist.

Nur war er wesentlich größer als alle Kredite, die sich die im IWF vereinigten Länder gegenseitig einzuräumen bereit sind. Allein Spanien und Italien nahmen etwa 400 beziehungsweise 500 Milliarden Euro in Anspruch.

Trotz oder wegen des Geldsegens ist das verarbeitende Gewerbe der südeuropäischen Länder weit von Wettbewerbsfähigkeit entfernt. So hängt Portugals Industrieproduktion noch um 14 Prozent, Italiens um ein Prozent, Griechenlands um 19 Prozent und Spaniens um 21 Prozent unter dem Niveau, das beim Ausbruch der Finanzkrise erreicht worden war. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt in Griechenland bei knapp 45 Prozent, in Spanien und Italien bei über 30 Prozent und in Portugal über 20 Prozent.

In diesen Ländern regieren radikale Sozialisten, die von Haushaltsdisziplin nichts wissen wollen, in Italien wurden die alten Parteien weggefegt. Die radikale Regierung aus Fünf Sternen und Lega will unter dem Schutz der anderen Euro-Länder viel mehr Kredit aufnehmen als ohnehin und droht, den Euro zu verlassen, wenn ihr die EU dies verwehrt.

Selbst der größte Euro-Enthusiast muss zugeben, dass der Euro keine Erfolgsgeschichte war. Europa hat sich verhoben. Mit seiner Einschätzung „Die Währungsunion ist ein großer Irrtum, ein abenteuerliches, waghalsiges und verfehltes Ziel, das Europa nicht eint, sondern spaltet“ hatte der Ralf Dahrendorf leider recht.

Schwer zu sagen, wie es weitergeht. Mehr Schuldensozialisierung und Vergemeinschaftung von Risiken, sagen einige. Andere warnen, Europa fiele so noch tiefer in die Verantwortungslosigkeit und lädiere die Wirtschaft per Verfälschung des Kapitalmarkts weiter, was es sich angesichts des Wettbewerbs mit China sowie den USA und Russland nicht erlauben könne. Das dritte Jahrzehnt wird die Entscheidung bringen.

Nachzulesen auf www.handelsblatt.com.

Zuerst erschienen bei www.project-syndicate.org.