Interview SOS-Kinderdorf-Stiftung

Hans-Werner Sinn im Gespräch mit Petra Träg, Geschäftsführung SOS-Kinderdorf-Stiftung
Hans-Werner Sinn

SOS-Kinderdorf-Stiftung, Dezember 2017.

In der Öffentlichkeit wird immer nur über die negativen Auswirkungen der Nullzinsphase auf Lebensversicherungen und Sparer berichtet. Die Auswirkungen auf gemeinnützige Stiftungen, die das materielle Sozialkapitals Deutschlands vereinen, stehen selten im Fokus. Aus diesem Grund haben wir einen der renommiertesten Wirtschaftsexperten Deutschlands befragt: Prof. Dr. Dr. Hans-Werner Sinn. Seine Einschätzungen, Reflexionen und Empfehlungen lesen Sie hier.

Herr Prof. Sinn, Stiftungen wünschen sich sehnlichst steigende Zinsen. Die EZB reduziert ab 2018 ihr Anleihekaufprogramm auf nur noch 30 Milliarden Euro pro Monat. Denken Sie, dass damit die Renditen wieder ansteigen?

Nein, denn dazu müsste die EZB Papiere verkaufen, also den Rückwärtsgang einlegen. Doch sie vergrößert den Bestand der aufgekauften Papiere immer mehr. Prinzipiell will die EZB keine höheren Zinsen, weil die Länder in Südeuropa damit in finanzielle Schwierigkeiten kommen.

Bis zu welchem Zinsniveau könnten überhaupt die europäischen Länder einen Zinsanstieg vertragen? Wo und bei wem würde es zuerst knirschen? Und würde dann die EZB ähnlich der Mietpreisbremse eine Zinsanstiegsbremse ziehen?

Natürlich würden höhere Zinsen Italien mit 133 Prozent Schuldenquote und Griechenland mit 180 Prozent Schuldenquote enorme Schwierigkeiten machen. Denn drei Prozentpunkte mehr Zinsen bei 133 Prozent Schuldenquote sind vier Prozent des Sozialproduktes an zusätzlichen Zinslasten. Das ist enorm viel, wenn man bedenkt, dass die maximal erlaubte Defizitquote bei drei Prozent liegt und Italien um jedes Prozent, ja über Bruchteile von Prozenten kämpft, sich nicht ein Vertragsverletzungsverfahren einzuhandeln. Allerdings könnten die Länder natürlich die Zinsen bezahlen, wenn sie es nur wollten. Die Leute sind wesentlich vermögender als bei uns, wie die Statistiken und Erhebungen der Europäischen Zentralbank gezeigt haben. Sie müssten nur die Steuern auf Immobilien anheben.

Was passiert denn mit den Anleihen, die die EZB gekauft hat und die fällig werden?

Die Staaten geben neue Anleihen aus, um die alten damit zu bezahlen. Diese neuen Anleihen kauft wiederum die Zentralbank. Wir reden also bei den Käufen immer nur über Nettozuwächse des Bestandes an Staatspapieren bei den Zentralbanken.

Sie sehen also keine Möglichkeit, dass die Staaten jemals Schulden zurückzahlen. Sonst würden sie ja keine Anschlussfinanzierung brauchen.

Die Schulden müssen auch nicht zurückgezahlt werden. Doch das Problem ist, dass sich die Staaten selbst um den Zinsdienst drücken wollen. Deshalb setzen sie ihre Stimmen im EZB-Rat ein, um mit einer Geldschwemme die Zinsen gegen Null zu drücken. Das ist aber gefährlich, denn irgendwann ist auf diese Weise zu viel Geld im Umlauf, was zu einer Inflation führen könnte. Dann wäre die EZB gezwungen, vom Gas zu gehen und die Zinsschraube anzuziehen. Ob sie das macht, ist allerdings fraglich. Zwar gibt der Maastrichter Vertrag der EZB die Einhaltung der Preisstabilität als einziges Ziel vor, doch interpretiert die EZB dieses Ziel als Preissteigerungsrate von zwei Prozent, was schon eine reichlich scholastische Umdeutung des Vertragstextes ist. Dreist ist, dass sie diese eigenmächtige Umdeutung dann zu Felde führt, um die Monetisierung der Staatsschulden durch den Kauf von Staatspapieren im Umfang von 1.800 Milliarden Euro mit der Druckerpresse zu legitimieren. Und das, obwohl der Maastrichter Vertrag die Monetisierung der Staatsschulden verbietet. Die EZB hat im Übrigen schon angedeutet, dass sie ihre Geldflut auch dann nicht einschränken will, wenn die Inflationsrate über zwei Prozent steigen sollte. Sie argumentiert, dass das zulässig sei, weil die Inflationsrate im Mittel über mehrere Jahre knapp unter zwei Prozent liegen solle. Den Scholastikern hat es noch nie an argumentativer Fantasie gefehlt.

Aktuell erreicht die EZB das Ziel jedoch nicht, knapp unter zwei Prozent zu kommen. Obwohl wir mit Liquidität am Markt überschüttet werden. Wenn die EZB also die Inflation nicht erfolgreich gestalten kann und dazu zum Beispiel eine Güterpreisinflation eines Warenkorbs kommt, geht es dann wie bei einer Ketchup-Flasche? Erst kommt nichts und dann schwupp alles? Kommt es also tatsächlich zu einer hohen Inflation, wie will die EZB diese wieder auf unter zwei Prozent bringen?

Genau aus diesem Grund ist die Politik der EZB extrem riskant. Geht die Inflation los, lässt sie sich nicht mehr bremsen. Die Möglichkeit, die Wertpapierkäufe rückgängig zu machen, ist begrenzt. Legt die EZB den Rückwärtsgang ein, gehen die Zinsen der Krisenländer in den Himmel und dann drohen Staatspleiten.

Wir Stiftungen sehen bereits eine erhebliche Inflation. Wir freuen uns zwar an den steigenden Aktienkursen und Immobilienpreisen. Doch ergibt das bereits eine Kaufkraftentwertung sondergleichen. Wenn ich als Stiftung zum Beispiel vor zehn Jahren eine Immobilie für eine Million Euro gekauft habe, erhalte ich für diesen Betrag heute nur noch die halbe. Dasselbe gilt für die Aktienmärkte. Konnte ich vor fünf Jahren mit einem Betrag X einen DAX kaufen, erhalte ich für denselben Wert heute noch einen halben DAX. Damit steigen Stiftungen doch langsam, aber sicher auf Sachwertanlagen um.

Das jedoch nennt man nicht Inflation. Inflation ist die Inflation der Preise der neu produzierten Güter, nicht alter Güter oder alter Häuser, auch nicht von Aktien. Steigen diese Vermögensobjekte im Preis, spricht man von Wertzuwächsen, relativ zu den Preisen der neu produzierten Güter. Doch natürlich haben Sie völlig recht mit Ihrer Beobachtung an sich. Die Asset-Preise schießen in den Himmel. Doch die Frage ist, ob das schon eine Blase ist. Eines Tages vielleicht. Und dann ist die Gefahr groß, dass eine Bremsung, die wegen einer Güterpreisinflation nötig ist, die Asset-Preise wieder massiv senkt, sodass es zu Massenkonkursen von Gläubigern kommt, die diese Wertpapiere in ihrem Portfolio haben. Banken oder auch Stiftungen werden in diesem Moment leider alle sehr arm.

Eines der Argumente von EZB-Präsident Mario Draghi war, dass er deswegen so viel Geld in die Märkte pumpen muss, weil es galt, eine Finanzkrise oder eine Deflation wie 1929 zu vermeiden. Ist die Situation, die er bekämpft hat oder bekämpfen will, wirklich mit 1929 zu vergleichen?

Die Situation ist durchaus mit 1929 ist vergleichbar, denn damals hatte Deutschland in der Goldwährung seine Wettbewerbsfähigkeit verloren. Weil auch andere Länder, wie England, abwerteten. Deutschland war es verboten die Goldparität aufzugeben. Deswegen musste Deutschland durch Preisverfall intern abwerten. Verursacht hatten das die Brüningschen Notverordnungen. So haben wir von 1929 bis 1933 die Preise um 23 Prozent gesenkt und die Löhne fielen um 28 Prozent. Das war zwar notwendig, um die Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen, doch kam es einer Chemotherapie gleich, die dem Patienten so zugesetzt hat, dass er zum Schluss nicht nur abgesprungen ist, sondern auch 1933 die Nazis gewählt hat. Die Probleme in Südeuropa ähneln jene zur Zeit Brünings. Wenn wir Südeuropa jetzt eine Deflation aufzwingen, dann ist das für die dortigen Gesellschaften eine Zerreißprobe. Genau das meint Draghi, und damit hat er recht. Wir hatten in einzelnen Ländern der Eurozone tatsächlich eine Deflation. Die Deflation ist nützlich, wenn sie stattgefunden hat, weil man dann billiger und wettbewerbsfähig ist. Aber der Prozess kommt einer schrecklichen Chemotherapie gleich. Das heißt nicht, dass die EZB-Politik alternativlos ist. Es wäre viel besser, wenn die Länder, die im Euro nicht zurechtkommen, temporär aus dem Euro austreten, wie es Finanzminister Schäuble im Falle Griechenlands vorgeschlagen hatte. Die Abwertung der eigenen Währung stellt in Minuten so viel Wettbewerbsfähigkeit her wie der Preisverfall innerhalb einer Eurozone, die besagte Chemotherapie, es in Jahrzehnten kaum vermag.

Stiftungen müssen in Bayern Stiftungskapital real erhalten, also nach Inflationsausgleich. Wenn ich alleine auf der Anleiheseite angelegt habe, konnte ich die letzten Jahre mein Stiftungskapital nie im Leben real erhalten. Ich musste Sachwerte dazu mischen. Die Stiftungen erhöhen ja schon seit Jahren ihren Aktienanteil. Doch was ist, wenn die Blase größer wird?

Mit dieser Geldpolitik kann man tatsächlich in eine Falle geraten. Die Zinsen werden gesenkt, man hat also keine Erträge mehr auf die festverzinslichen Anlagen. Jeder flieht in Aktien und dadurch gibt es dort Wertzuwächse. Das kann man als Erträge und Vermögenszuwachs verbuchen. Doch in Wahrheit ist dies eine spekulative Geschichte, die keinerlei reale Basis hat. Denn die Aktienwertsteigerungen gleichen den Verlust an Zinsen nur temporär aus. Es sind Wertsteigerungen bis zu dem Niveau, das zu den niedrigeren Zinsen passt. Wenn dann die Zinsen wieder auf Normalniveau kommen, werden die Wertzuwächse zu Wertverlusten. Und diese Wertverluste kommen so schnell, dass man gar nicht mehr aussteigen kann. Das heißt, die Korrektur nach unten bei den Aktien und Realvermögenswerten hängt immer als Damoklesschwert in der Luft. Man weiß nicht, wann es dazu kommt. Doch wenn, kommt es so plötzlich, dass man keine Chance hat auszusteigen. Im Endeffekt sind die Werte der Aktien dann wieder auf dem gleichen Trend wie vor der Politik, doch über viele Jahre hinweg haben die Vermögensbesitzer keine Zinserträge mehr gehabt. Das ist ein gewaltiges Programm zum Umverteilung von Einkommen von den Sparern zu den Schuldnern, die im EZB-Rat das Sagen haben.

Stiftungen sind auf Ewigkeit angelegt. Das heißt, sie können auch schwere Zeiten oder niedrige Aktienkursniveaus aussitzen. Natürlich müssen sie auf die Dividenden schauen. Und das führt zur nächsten Frage: Den Worst Case im Blick, also 1929 bzw. die Kapitalschnitte 1931/32, macht es nicht trotzdem Sinn, wenn man in Unternehmenswerten gestreut ist, sprich in Aktiengesellschaften und eine schwierige Phase in Kauf zu nehmen, auch wenn die Kurse zum Teil dramatisch sinken? Denn auch 1933 hat gezeigt, dass Unternehmen mit guten Geschäftskonzepten aus einer Depression herauskommen.

Herauskommen heißt dann aber nicht automatisch, wieder auf das alte Niveau zu kommen. Wenn die Preise überhöht sind, kauft man diesen Dividendenstrom sehr teuer ein. Ich kann Ihre Argumentation nachvollziehen. Doch die Kurse sind so enorm in die Höhe geschossen, dass man langsam kalte Füße kriegen muss.

Das Problem stellt sich aktuell leider für viele Stiftungen, die Wertpapiere, also Anleihen, zurückgezahlt bekommen. Sie haben die Wiederanlagemöglichkeit zu niedrigsten Zinsen. Doch macht eine Unternehmensanleihe nicht viel Sinn, wenn ich dafür Aktien kaufen kann, die die drei- oder vierfache Dividende haben. Denn auf Grundlage des Ewigkeitsfokuses, kann ich den Zeitablauf abwarten, bis das Unternehmen auch im Falle einer Deflation oder eines riesigen Abschwunges der Börsen, nach oben kommt?

Natürlich ist das ein Argument, das auch Jahre lang gegriffen hat. Doch es verliert durch eine wachsende Wertsteigerung an Kraft. Wer jetzt noch in Aktien einsteigen will, kommt reichlich spät. Meiner Ansicht nach müssen sich Stiftungen, die so agieren, jetzt in der Hochphase des Booms, fragen, ob sie nicht durch ihre Käufe anderen Anlegern den Ausstieg aus diesen Aktien ermöglichen, die schon jetzt kalte Füße kriegen. Erinnern Sie sich noch an die Situation in den Jahren vor der Lehman-Krise? Damals priesen die amerikanischen Investoren ihre verschachtelten ABP-Papiere den deutschen Landesbanken an, damit sie vor dem Kursverfall dieser Papiere aussteigen konnten. Der deutsche Staat musste diese Landesbanken dann mit hunderten von Milliarden Euro vor dem Konkurs bewahren.

Wo sehen Sie die Alternativen?

Die Alternative ist, öffentlich aufzubegehren und aktiv zu werden, um endlich etwas zu tun gegen diese unsinnige Zinspolitik.

Können Sie sich vorstellen, dass die Staaten ihre Verlängerungsoption ziehen, wenn zum Beispiel ein Käuferstreik eintreten sollte? Vor dem Hintergrund, dass sie wissen, dass sie eine Refinanzierung oder eine Anschlussfinanzierung nicht erwirken könnten?

Ja, bevor die Staaten pleitegehen und keine neuen Anschlusskredite bekommen, wäre es besser, die alten Anleihen einfach zu verlängern. Die Alternative, einen Crash zu verhindern, wäre ja, dass die Steuerzahler anderer Länder hier einspringen und den Schuldenstaaten das Geld geben, das sie zur Tilgung brauchen. Eine solche Rettung von Staaten ist erstens nach dem Maastrichter Vertrag, Artikel 125 AEUV verboten. Zweitens kann es sein, dass sich die Staaten auch nur in einer Liquiditätskrise befinden. Sie sind also noch nicht wirklich pleite, sondern nur in einer temporären Finanzschwierigkeit. Dann ist es sinnvoll, die Rückzahlung auszusetzen und die Laufzeit zu verlängern. Denn irgendwann sind sie dann ja wieder in der Lage. Und, wenn nach Ablauf der Verlängerung immer noch Schwierigkeiten vorliegen und der Staat offenbar pleite ist, sollte tatsächlich auch der Gläubiger sein Geld verlieren. Irgendwer muss den Verlust tragen. Wenn der Gläubiger diesen nicht trägt, würde er sein Geld ohne Prüfung verleihen, ob der Schuldner überhaupt die Bonität hat. Aber die Prüfung der Schuldner und die Wahl zwischen guten und schlechten Schuldnern ist das Wesenselixier einer Marktwirtschaft. Das muss von den Anlegern selbst geleistet werden, damit das wertvolle Sparkapital nicht einfach verbraten, sondern in sinnvolle Verwendung geleitet wird.

Apropos sinnlos Geld leihen: Sind die Targetsalden, auf die Sie hingewiesen haben, ein unlimitierter Überziehungskredit?

So kann man das sehen. Die Bundesbank muss Zahlungsaufträge aus anderen Ländern erfüllen und kreditieren. Sie macht Geld und gibt das dem Verkäufer hier in Deutschland. Ob das der Verkäufer einer frisch produzierten Ware ist, der Verkäufer eines Wertpapieres, einer Immobilie, einer mittelständischen Firma. Oder, ob es der Gläubiger ist, der einen alten Schuldschein zurückgibt, nachdem er die Zahlung bekommen hat. Die Bundesbank kreditiert jeweils das Geschäft. Sie erhält dafür, dass sie Euros herstellt und diese dem Verkäufer gibt, der damit eine Forderung gegen die Bundesbank hat, eine Ausgleichsforderung gegen das Eurosystem.

Das heißt, die Bundesbank ist zwar Kreditgeber, hat aber eigentlich gar kein Mitspracherecht?

So ist es, sie muss den Überziehungskredit geben und auch die Konditionen akzeptieren, die von der Mehrheit der Targetschuldnerländer in der Eurozone, das sind ungefähr zwei Drittel, festgelegt werden. Der Zins, zu dem sie die Target-Kredite ziehen dürfen, ist der Hauptrefinanzierungssatz der EZB, und den haben die Target-Schuldnerländer mit der Zwei-Drittel-Mehrheit, die sie im EZB-Rat haben, auf null festgelegt.

Gibt es aber für den Betrag der Targetsalden eine Obergrenze?

Nein, es gibt keine Obergrenze.

Das ist also ein unlimitierter Überziehungskredit? Es ist also gar nicht gefragt, ob man sich Gedanken macht oder nicht. Es muss einfach Geld geliehen werden. Könnte man sich vorstellen, dass es unter Jens Weidmann, der als Nachfolger von Mario Draghi gehandelt wird, eine Obergrenze für Targetsalden gibt und damit keine unlimitierten Überziehungskredite mehr?

Dafür braucht er die politische Rückendeckung. Denn Herr Weidmann müsste ja mit demselben EZB-Rat regieren, bei dem die Schuldnerländer das Sagen haben. Und die tun nicht, was er will, sondern genau das, was sie wollen.

Wie wahrscheinlich sehen Sie denn Herrn Weidmann als Nachfolger?

Er wäre der geborene Nachfolger von Mario Draghi. Herr Weidmann hat sehr viel Erfahrung, er ist ein idealer Zentralbanker. Ich kann mir keinen Besseren vorstellen. Aber es geht nicht nach meinen Präferenzen. Herr Weidmann hat sich mit seiner klaren Haltung, die er in Sachen Solidität der Finanzen gezeigt hat, bei den Schuldnern nicht nur Freunde gemacht.

Kann man als neuer EZB-Präsident das Rad in irgendeiner Weise so zurückdrehen, dass es homöopathische Auswirkungen für die Aktienmärkte, die Rentenmärkte und somit auch für Stiftungskapital hat?

Das halte ich für schwierig. Denn die EZB führt uns hier in eine Sackgasse.

Ist es denn dann sinnvoll, wenn Deutschland diesen undankbarsten Job antreten und in die Sackgasse gehen soll?

In Prinzip ja. Denn jemand anderes würde die Sackgasse wahrscheinlich lieber weitergehen. Und damit erzwingt man eine Transferunion. Je länger man geht, desto schwieriger ist es, den Rückwärtsgang einzulegen, desto mehr geht kaputt und das ist ein Drohpotenzial, das auch die Regierung veranlassen kann, in der Eurozone dauerhafte Finanztransfers vom Norden in den Süden zu machen. Nur so ist der Süden in der Lage, seine Schulden zu bedienen. Ich befürchte, dass wir erst dann zu normalen Zinsen zurückkommen, wenn die Gläubigerländer selbst den Schuldner das Geld geben, damit die Schuldner in der Lage sind, die Zinsen zu bezahlen.

Wir haben ja ein richtiges Dilemma, Sparer, aber auch Banken bräuchten eigentlich dringend höhere Zinsen. Die Staaten dagegen bräuchten mindestens so niedrige Zinsen wie aktuell oder sogar noch niedriger. Nun haben wir unheimlich viel Liquidität in den Märkten, die auch schon Preisverwerfungen verursacht hat. Wie sähe denn Ihr Lösungsvorschlag aus, wieder in ein normales Fahrwasser zu kommen?

Ich würde sofort mit dieser ungewöhnlichen Geldpolitik aufhören. Länder, die nicht wettbewerbsfähig sind, müssen aus dem Euro austreten und ihre Wettbewerbsfähigkeit wiederherstellen. Das kann man verbinden mit einem Schuldenschnitt, bei dem die Gläubiger auf einen Teil der Forderung verzichten. Dazu gehören auch wir Deutschen. Doch ein offener Schuldenschnitt wäre noch besser als die Schulden, die nicht bedient werden, immer weiter anwachsen zu lassen.

Mit all dem, was Sie am Markt sehen, was würden Sie Ihrem Stiftungsvorstand raten, wie er sein Stiftungskapital sinnvollerweise für die Turbulenzen, die kommen werden, investiert, sodass er dem gesetzlichen Anspruch nach sicher und wirtschaftlich sein Kapital erhält? 

Ein Prozent der Mittel würde ich auf jeden Fall für eine Verbandstätigkeit der Stiftungen verwenden und mit einer öffentlichen Kampagne in den Zeitungen gegen diese Geldpolitik aufmerksam zu machen. Darauf erzielt man bei Weitem die höchste Rendite. Nehmen Sie also einen Teil Ihres Geldes und bringen über große Zeitungsannoncen das Thema in die Öffentlichkeit. Denn die EZB würde doch all dies nicht machen, wenn sie mehr politischen Gegenwind spüren würde. Nur so kann wirklich etwas passieren. Der ganze Rest ist vergebliche Liebesmühe. Jeder versucht, sein Portfolio selbst zu optimieren, statt gegen die Politik selbst vorzugehen. Wir müssen auch politisch agieren, jeder hat seine Partei, in der er aktiv werden kann und in jeder Partei gibt es Leute, die das Problem sehen und bereit sind, aktiv zu werden. Schweigt die Öffentlichkeit, wird es immer so weitergehen.

Ohne Engagement würde es also möglicherweise um das Sozialkapital unseres Volkes schlecht bestellt sein?

So ist es. Dazu kommt, dass nicht nur die Stiftungen verlieren. Was machen wir denn, wenn die öffentliche Hand auch nicht mehr in der Lage ist, Zuschüsse zu geben für Stiftungen und Stiftungszwecke? In zehn Jahren wollen die Babyboomer in die Rente und eine Rente von Kindern, die sie selbst nicht haben. Das wird doch sowieso alles ganz eng. Das ist ja absehbar.

Wenn vor allen Dingen die Babyboomer in Rente sind, werden unsere Staatsschulden noch deutlich größer sein, weil dann auch die Staatsbediensteten in Rente sind und der Staat in die Zahlung gehen muss. Deswegen kommen wir auch immer wieder darauf zurück, nicht auf Staatsanleihen, sondern auf Unternehmens- oder Immobilienseite zu setzen.

Ja, sicher, und gute Aktien im Portfolio zu haben, die bereits vor fünf Jahren gekauft wurden. 

Genauso ist es und durch den Ewigkeitsfokus darauf zu vertrauen, dass sich die Aktien erholen, wenn die Unternehmen ein gutes Geschäftsmodell haben. Wir werden nur davon leben können, was wir herstellen und verkaufen. Und so kamen und kommen wir auch aus der jeder Krise heraus. Deswegen sind Aktien trotz hohem Niveau für uns vertrauenserweckender als Anleihen.

Ich wäre bezüglich der Staatspapiere nicht so pessimistisch. Aktuell sind wir in der Phase der schwarzen Null. Die Schuldenquote fällt, in den letzten Jahren ist einiges passiert. Ich halte es nicht für wahrscheinlich, dass der deutsche Staat seine Anleihen nicht mehr bedient. Was glauben Sie, warum die Schweizer Notenbank zum größten Gläubiger des deutschen Staates geworden ist?

Wie viel ist denn die Staatsverschuldung wirklich gesunken, gegenüber dem, was der Staat sich an Zinszahlung erspart hat?

Immerhin ist sie gesunken. Die fallenden Zinsen hätte der Staat ja auch verfrühstücken können. Aber Sie haben völlig recht, die schwarze Null resultiert vor allem aus den Zinssenkungen.

Doch muss man sich doch die effektiven Zahlen anschauen. Wenn man alles wegrechnet, wäre unsere Staatsverschuldung gestiegen. 

Das mag stimmen, es mag aber auch übertrieben sein. Sie erwähnen hier das Ergebnis einer spitzen Rechnung, die mir nicht bekannt ist.

Aus diesem Grund haben wir keine so großen Hoffnungen. Wenn der Staat es selbst in dieser Phase nicht schafft, massiv zu tilgen, wann denn dann? Und die nächste Rezession kommt bestimmt.

Alles ist relativ. Sie können das Glas für halb voll oder halb leer halten.

Sehr geehrter Herr Professor Sinn, wir danken herzlich für das Gespräch mit Ihnen.

Das Interview führte Petra Träg, Geschäftsführerin SOS-Kinderdorf-Stiftung.

Nachzulesen auf www.sos-kinderdorf-stiftung.de.

Eine gekürzte Version des Interviews ist bei „Die Stiftung“ erschienen.