Die Souveränität wahren

Hans-Werner Sinn

Handelsblatt (ref. Project Syndicate), 29. November 2018.

Präsident Trump führt sich in Europa in unerträglicher Weise auf. Er stellt den Schutz der NATO für Europa in Frage und kündigt einseitig den im Jahr 2015 mit dem Iran geschlossenen Abrüstungsvertrag, den die fünf Staaten des UN-Sicherheitsrates sowie Deutschland und der Iran miteinander geschlossen haben. Zugleich verhängt er unilateral ein Embargo für Warenlieferungen in den Iran, das er für Drittländer inklusive der anderen Signaturstaaten des Abkommens verbindlich erklärt. Firmen aus diesen Ländern, die Waren liefern, werden mit Sanktionen bedroht, und Banken, die die für die Geschäfte nötigen Überweisungen durchführen, bestraft er mit einem Verbot von Geschäften mit den USA.

Ähnlich droht er sich bei dem Projekt zum Bau einer neuen Gaspipeline aus Russland nach Deutschland, dem sogenannten Nord Stream II – Projekt, zu verhalten. So hat er bereits ein Gesetz durch den Kongress gebracht, das ihm die Sanktionierung von europäischen Firmen erlaubt, die sich daran beteiligen, obwohl diese Firmen vertraglich bereits verpflichtet sind und die Pipeline bereits zu erheblichen Teilen fertiggestellt haben. Der deutsche Ex-Kanzler Gerhard Schröder hat dem US-Botschafter in Deutschland vorgeworfen, wie ein "Besatzungsoffizier" zu agieren. Die Regierungen Frankreichs und Deutschlands sind aufgebracht.

Es zeichnet sich ab, dass Präsident Trump mit seinen Übergriffen in die Souveränität anderer Staaten  als Katalysator für einen neuen Schub bei der politischen Einigung Europas wirkt.

Europa ist bekanntlich ökonomisch in einer großen inneren Wirtschaftskrise, denen der Euro die südlichen Länder der Eurozone aussetzte, weil er sie in der Zeit vor Lehman in eine Inflation trieb, die ihre Wettbewerbsfähigkeit zerstörte. Zudem wird der Kontinent durch den Austritt Großbritanniens geschwächt.

Trumps Aktionen kommen nun wie gerufen, um den Europäern klarzumachen, dass sie dennoch zusammenstehen müssen. Eine Union von 450 Millionen Menschen (nach dem Brexit), kann sich nicht von einem Land, das um eine Drittel kleiner ist, kujonieren und wie eine Gruppe von Vasallenstaaten behandeln lassen.

Sowohl Präsident Macron als auch Bundeskanzlerin Merkel haben letzte Woche erklärt, dass sie sich nun endlich für die Schaffung einer gemeinsamen europäischen Armee einsetzen. Sie werden diesen Vorschlag den anderen EU-Ländern unterbreiten. Etwas süffisant hat die deutsche Verteidigungsministerin von der Leyen ergänzt, das sei auch als Antwort auf Donald Trumps Bitte um eine vergrößerte Verteidigungsanstrengung der Europäer zu verstehen, obwohl sie natürlich genau weiß, dass der Präsident das anders gemeint hatte.

Von allen Seiten wird aber glaubhaft versichert, dass diese Initiative als Ergänzung und Stärkung der NATO gedacht ist. In der Tat ist im deutschen Establishment die Einsicht in die dauerhafte Notwendigkeit einer Nordatlantik-Brücke ungebrochen. Ebenso sind die Sympathien für die die USA und die persönlichen Verhältnisse mit den Amerikanern unverändert und werden von niemandem in Frage gestellt. Alle wissen, dass es ein Amerika nach Donald Trump geben wird.  

So oder so wird aber nun die politische Einigung Europas wieder verstärkt betrieben, und das ist richtig so. Denn von Anbeginn an litt der europäische Einigungsprozess darunter, dass es vornehmlich um wirtschaftliche Dinge ging und die politische Einigung hintenan gestellt wurde.  So hatten Frankreich, Großbritannien, Italien, die Benelux-Staaten und Deutschland bereits Anfang der 1950er Jahre im Rahmen der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft einen Vertrag über eine gemeinsame Armee abgeschlossen, doch leider wurde dieser Vertrag 1954 nicht von der französischen Nationalversammlung ratifiziert.

Eine zweite Chance für eine politische Union gab es beim Maastrichter Vertrag. Auch damals leistete Frankreich Widerstand. Man wollte zwar den Euro, damit die lateineuropäischen Länder Europas inklusive Frankreichs selbst zu den gleichen niedrigen Zinsen Kredit aufnehmen konnten wie Deutschland, doch wehrte man sich erfolgreich gegen die Gründung einer politischen Union, die zu allererst durch ein Gewaltmonopol eines Zentralstaates mit einer gemeinsamen Armee gekennzeichnet ist.

Wenn Frankreich nun tatsächlich mehr als nur eine Eingreiftruppe für seine afrikanischen Ex-Kolonien sucht und sich wirklich auf einen Kurs einlassen sollte, der im Endeffekt dazu führt, dass alle europäischen Armeen unter ein gemeinsames Oberkommando der EU gestellt werden, dann wäre dem französischen Staatspräsidenten ein würdiger Platz in der Geschichte sicher. Er hätte ihn Donald Trump zu verdanken.

Nachzulesen auf www.project-syndicate.org.