Eine CO2-Steuer kann das Klima nicht retten

Eine regional begrenzte Klimapolitik durch CO2-Steuern und Emissionshandel hilft der Umwelt nicht. Stattdessen bedroht sie unseren Lebensstandard.
Hans-Werner Sinn

WirtschaftsWoche, 12. April 2019.

Ein Emissionshandel hat den Vorteil, dass man die Mengen sicher beschränken kann, weil der Gesamtausstoß an CO2 für die Welt gedeckelt ist. Der Preis für CO2 selbst ergibt sich endogen. Da er weltweit einheitlich ist, sorgt er für eine bestmögli­che Koordination der Vermeidungsan­strengungen aller Länder.

Den Koordinationsvorteil des einheit­lichen Preises hat auch die einheitliche CO2-Steuer, denn die Steuer ist ja ein Preis. Als zusätzlicher Vorteil der Steuer wird häufig angegeben, dass einerseits über­haupt ein wirksamer CO2-Preis zustande kommt - beim europäischen Emissions­handel lag der Preis lange Zeit in der Nähe von null - und andererseits der Preisan­stieg nicht so exorbitant sein kann, dass die Wirtschaft stranguliert wird.

Der Nachteil der Steuerlösung liegt indes in der Möglichkeit, dass die Wirkung verpufft. Wenn die Ressourcenanbieter sich nicht beeindrucken lassen und ange­sichts der riesigen Spannen zwischen den Marktpreisen für Brennstoffe und den Abbaukosten einfach nur weiter das aus der Erde herausholen, was sie ohnehin vor­hatten, drückt die Steuer nur den Welt­marktpreis, und zwar so stark, dass die Verbraucher trotz der Steuer nicht mehr zahlen als vorher. Und weil sie nicht mehr zahlen, drosseln sie ihren Verbrauch nicht. Was extrahiert wird, wird verbrannt und geht in die Luft. Klimavorteil null.

Unklare Wirkungen

Ja, es kann bei der Steuer sogar passie­ren, dass die Verbraucherpreise für die fossilen Brennstoffe fallen, weil die Res­sourcenbesitzer den Verlust an Erlös pro Tonne durch die Ausweitung der Anzahl der geförderten Tonnen ausgleichen. Wenn mehr extrahiert wird, fällt der Welt­marktpreis mit Sicherheit um mehr als die Steuer. Dann wird mehr statt weniger fos­siler Kohlenstoff verbraucht. Die Erde wird noch schneller wärmer.

Es ist auch möglich, dass die Ressour­cenbesitzer ihre Verkäufe vorziehen, weil sie befürchten, dass in der Zukunft noch höhere Steuern erhoben werden. Auch dann wird mehr extrahiert und verbraucht, und der Klimawandel beschleunigt sich (Grünes Paradoxon).

Die Ressourcenanbieter müssen nicht so reagieren, aber es ist gut möglich, dass sie es tun. Insofern sind Steuern ein schwammiges Mittel der Klimapolitik mit unklaren Wirkungen. Die Vorstellung, dass die Steuer einfach nur auf feste Weltmarkt­preise draufgesattelt wird und die Energie für die Verbraucher verteuert, ist partial­analytisch und naiv. Wahrscheinlich ist der Zeitpfad des Weltmarktpreises für fossile Energie viel weniger stabil als der Zeitpfad des Ressourcenabbaus, und von Letzterem ist nicht einmal bekannt, in welche Rich­tung er sich bewegt, wenn er sich ändert.

Noch problematischer wird die Analy­se, wenn eine weltweite Koordination gar nicht gelingt. Wenn nur einzelne Regionen der Welt eine wirksame CO2-Politik betrei­ben, wie etwa Deutschland oder die EU, ist die Hoffnung auf einen Klimaeffekt noch weniger begründet. Dann wirken weder Steuern noch Emissionshandel, weil die Mengen an fossilen Brennstoffen, die in diesen Regionen nicht verbraucht werden, über die Ressourcenmärkte an­derswohin wandern.

Wenn die Ressourcenanbieter keine andere Extraktionsstrategie verfolgen als ohne diese Steuern, werden die Weltmarkt­preise für Öl, Gas und Kohle so stark fallen, dass die großen Klimasünder alles abneh­men, was wir Europäer freigeben. Ja, wir tun Gutes mit unseren Einsparungen, doch helfen wir nicht den armen Afrikanern, deren Erde verglüht, sondern den SUV­-Fahrern in Amerika und sonstwo.

Rettet die Industrie

Trotz dieser ernüchternden Erkennt­nisse gibt es ein triftiges Argument, den sich im Emissionshandel herauskristallisie­renden Preis für CO2-Emissionen zu beob­achten und notfalls zu begrenzen. Es liegt in der E-Mobilität im Verein mit dem Emissionshandel. Die Politik hat offenbar vor, den Verkehr immer stärker auf elektri­sche Antriebe umzustellen und den Ener­gieverbrauch der Autos in den Emissions­handel hineinzudrücken. Dieses Vorhaben wird zur gegenseitigen Kannibalisierung der alten und neuen Stromverbraucher und CO2-Emittenten führen. Die Preise der Emissionsrechte werden exzessiv steigen, und auch die Strompreise werden, wenn sonst nichts geschieht, in den Himmel wachsen. Um das Schlimmste für Industrie und Verbraucher zu verhindern, könnte ei­ne CO2-Preiskontrolle nach oben geboten sein. Konkret: Die Zahl der Emissionszerti­fikate müsste erhöht werden, um zu ver­hindern, dass die rasant steigenden Preise für Energie die Wirtschaft strangulieren. Eine staatliche Intervention würde somit der anderen folgen.

Da die unilateralen Sparmaßnahmen der Europäer dem Klima ohnehin nicht helfen, wäre es vielleicht doch eine Über­legung wert, ob man nicht wenigstens versuchen sollte, die Industrie zu retten und auf diese Weise den Lebensstandard der Menschen zu erhalten.

Nachzulesen auf www.wiwo.de