Das Geld der EZB fällt nicht wie Manna vom Himmel

Die Anleihekäufe der Notenbank setzten deutsche Bürger dem Risiko von Staatskonkursen aus, sagt Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn.
Hans-Werner Sinn

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 15. März 2015, S. 20.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Stellungnahme vom Februar 2014 argumentiert, dass dem deutschen Staat durch den Aufkauf von Staatspapieren seitens der EZB ein Haftungsrisiko entstehen könne, das die Budgethoheit des Deutschen Bundestages aushöhlt. Die EZB überschreite ihr Mandat, lautete das Verdikt.

Nun kritisiert Martin Hellwig in der F.A.S. vom 8. März diese Position und nimmt statt des Verfassungsgerichtes ersatzweise Bundesbankpräsident Jens Weidmann, Roland Vaubel und auch mich ins Visier, denn wir hatten ebenfalls argumentiert, dass die Staatspapierkäufe der EZB die Bürger der Bundesrepublik Deutschland dem Risiko von Staatskonkursen in Südeuropa aussetzten, sofern diese Käufe in gemeinsamer Haftung stattfänden. Eine solche gemeinsame Haftung gab es beim Securities Markets Programm (SMP), nach dem für 223 Milliarden Euro Staatspapiere von Krisenstaaten gekauft wurden, und sie gibt es nach wie vor beim OMT-Programm, das für den Notfall sogar unbegrenzte Käufe der Staatspapiere der Krisenländer vorsieht ("whatever it takes").

Auch 20 Prozent der Käufe im Rahmen des neuen, im Januar verabschiedeten Quantitative-Easing-Programms (QE), das ein Gesamtvolumen von über 1100 Milliarden Euro hat, fallen unter die Kategorie der gemeinsamen Haftung. Martin Hellwig argumentiert, dass die Abschreibungsverluste keine wirklichen Verluste bedeuteten, weil die EZB die Staatspapiere mit frisch geschaffenem Geld erwerbe, dessen Produktionskosten null sind. Die Steuerzahler kämen in den Genuss zusätzlicher Gewinnausschüttungen des EZB-Systems, falls die Papiere ordnungsgemäß bedient würden. Falls nicht, gäbe es zwar keine Gewinne, aber eben auch keine Verluste.

Hellwigs Sicht der Dinge ist irreführend und problematisch, weil sie einer Generalermächtigung für beliebige Umverteilungswirkungen der Geldpolitik zwischen den Staaten Europas gleichkommt. Um die gedankliche Kontrolle über solche Wirkungen zu bewahren, kann man stets nur Programme mit gleichen Geldmengenwirkungen sinnvoll miteinander vergleichen.

In der Tat sind ja einige der genannten Programme geldmengenneutral gemeint, so zum Beispiel das SMP, für das die EZB die Sterilisierung des Geldmengeneffekts explizit ankündigte. Es ging bei diesem Programm um den Ersatz einer normalen Geldschöpfung mittels gut besicherter Refinanzierungskredite an die Banken durch eine Geldschöpfung auf dem Wege des Erwerbs von Staatspapieren. Trivialerweise führt der Ausfall von Staatspapieren, die in gemeinsamer Haftung erworben werden, bei einem solchen Ersatz zu einer dauerhaften Verminderung der Gewinnausschüttungen der Bundesbank an den deutschen Staat, dem dann nichts anderes übrigbleibt, als die Steuern dauerhaft zu erhöhen oder die Ausgaben dauerhaft zu senken. Deutschland verliert beim SMP ein gutes Viertel der bei einem Staatskonkurs abzuschreibenden Papiere. Daran ist überhaupt nicht zu rütteln.

Das gilt in ähnlicher Form auch für das OMT-Programm, denn dieses Programm ist eine kostenlose Deckungszusage für die Käufer der Staatspapiere der Krisenländer, das die Risikoaufschläge im Zins verringern und die Solvenz der Staaten sichern soll. Das hat der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs vor kurzem in seinem Plädoyer zum OMT-Programm noch einmal betont. Es ist nicht als Programm zur Ausweitung der Geldmenge gedacht.

Anders ist es beim neuen QE-Programm der EZB, bei dem eine Ausweitung der Geldmenge geplant ist. Indes muss man auch hier die Haftungsfrage unabhängig von der Ausweitung der Geldmenge betrachten, denn was auch immer die geldpolitische Begründung für dieses Programm ist, nichts rechtfertigt die Behauptung, die EZB dürfe dessen Umverteilungseffekte frei gestalten. Genau deshalb haben Bundesregierung und Bundesbank erfolgreich darum gekämpft, die zunächst generell vorgesehene Gemeinschaftshaftung abzuwenden und auf einen kleinen Prozentsatz der Käufe zu begrenzen, was wütende Reaktionen einiger angelsächsischer Kommentatoren hervorrief. Durch diese Intervention wurden die Risiken für die Bundesrepublik wirksam verringert, ohne den Möglichkeitsraum für die Geldpolitik der EZB einzuschränken. Geht der italienische Staat in Konkurs, ist Deutschland nicht an den Abschreibungsverlusten der italienischen Staatspapiere beteiligt, die die Banca d'Italia erwirbt. Ein Wermutstropfen ist, dass Deutschland allerdings noch ein gutes Viertel der Verluste auf Käufe von Staatspapieren durch die EZB-Zentrale (8 Prozent der Gesamtsumme) und auf Käufe von Papieren europäischer Institutionen (12 Prozent) tragen muss.

Martin Hellwig unterstellt implizit, dass die Geldschöpfungsgewinne aus dem QE-Programm wie Manna vom Himmel fallen und nach Belieben für den Ausgleich ausfallender Staatspapiere verwendet werden können. Doch in Wahrheit sind diese Gewinne das Gegenstück zu den Inflationsverlusten der Geldhalter der Eurozone (oder der Verminderung der Gewinne der Geldhalter aus einer Deflation), die durch die Geldschwemme ausgelöst wird, und stehen auch Deutschland anteilig zu.

Hellwig bestreitet, dass es überhaupt zu Preiseffekten kommen wird. Doch übersieht er, dass EZB-Präsident Mario Draghi das QE-Programm explizit damit begründet hat, dass es die Inflationsrate des Euroraums, die derzeit knapp unter null Prozent liegt, auf knapp unter zwei Prozent erhöhen soll. Draghi wird sein Ziel vermutlich erreichen. Das viele Geld, das den Banken durch das QE-Programm gewährt wird, drängt nämlich ins Ausland, wertet den Euro ab und führt damit unmittelbar zu einem Anstieg der Importpreise. Die Abwertungseffekte, die Amerika und Großbritannien mit ähnlichen Programmen erzielt haben, zeigen klar, wohin die Reise geht.

Die Gefahren sollte man auch deshalb nicht unterschätzen, weil der angestrebte Durchschnittswert bei der Inflation von knapp unter zwei Prozent für Deutschland theoretisch eine Inflation von bis zu dreieinhalb Prozent bedeuten könnte. Dieser Wert käme zustande, wenn Krisenländer und zum Teil auch Frankreich die Gelegenheit nutzen würden, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen, indem sie bei der Inflation hinter Deutschland zurückbleiben. In der Tat liegt ja das Kernproblem der Eurozone darin, dass die Südländer der Eurozone durch die inflationären Kreditblasen, die der Euro bei ihnen hervorrief, zu teuer wurden und nun im Vergleich zu Deutschland wieder billiger werden müssen. Auch weil sich der von der EZB erhoffte Inflationseffekt auf Deutschland konzentrieren könnte, darf man den deutschen Anteil am Geldschöpfungsgewinn des Eurosystems nicht zur Kompensation möglicher Staatskonkurse in Südeuropa verwenden.