Gefährliches Glücksrittertum

Grit Beecken, Süddeutsche Zeitung, 17. Dezember 2008, Nr. 293, S. 18

ifo Chef Hans-Werner Sinn glaubt, dass die Finanzkrise dadurch begünstigt wurde, dass Bank-Aktionäre zu wenig Risiko tragen mussten.

„Die Wirtschaft lief lange Zeit so glatt, dass ich schon Angst um meinen Beruf hatte", sagt Hans-Werner Sinn. Doch nun steckt die Weltwirtschaft in der Rezession und Sinn, Chef des ifo Wirtschaftsforschungsinstituts, ist gefragt wie lange nicht: Zum Beispiel Montagabend, München, Ludwig-Maximilians-Universität. Mehr als 400 Zuhörer sind in den großen Hörsaal gekommen, um Sinns Erklärung für die Finanzkrise zu hören und die Schlussfolgerungen, die seiner Ansicht nach daraus zu Ziehen sind.

„Kapitalgesellschaften machen Geschäfte, die kleine Leute nicht machen können", sagt Sinn. Daher könnten kleine Aktionäre nicht für die Geschäfte haften, die ihre Firma tätigt, und müssen es auch nicht. Das hätten die Investmentbanker genutzt: Sie hätten immer weniger Eigenkapital ihrer Aktionären eingesetzt und immer mehr geliehenes Geld.

Sinn rechnet das an einem Beispiel vor: Wenn eine Bank bei einem Hundert-Dollar-Geschäft vier Dollar Eigenkapital einsetzt und 96 Dollar geliehene Gelder, verlieren sie selbst im schlimmsten Fall die vier Dollar. Wenn alles gut geht, dann erwirtschafte sie aber auf die 100 Dollar Gewinn. Zwar muss sie den Fremdkapitalgebern Zinsen zahlen doch wenn die Geschäfte ertragreich genug sind, kann sie den Überschuss einstreichen, „Und das, meine, Damen und Herren, ist der makroökonomische Kern der Krise", sagt Sinn.

Denn auf diese Weise hätten die Banken lange Zeit gute Eigenkapitalrenditen erzielt, insbesondere, weil die Kapitalvorschriften in den USA 2004 gelockert wurden. Als die Märkte aber zusammenbrachen, fehlte den Instituten der Eigenkapitalpuffer der die Verluste ausgleichen konnte. Dass das Fremdkapital verloren war, traf weder Banken noch Aktionäre, das Geld gehörte schließlich anderen Leuten. „Außerdem wusste man schon damals, dass der Staat einspringen würde“, sagte Sinn.

Nach dem gleichen Prinzip hätten auch die amerikanischen Bauherren gehandelt. „Nicht nur die Wall Street, auch die Main Street hat gezockt“, sagte Sinn. Auch Privatleute hätten eine Art Haftungsbeschränkung gehabt - Geld, das man nicht besitzt, kann man auch nicht verlieren. Daher wurden immer neue Hypotheken auf die Häuser aufgenommen und das so gewonnene Geld für Konsumgüter ausgegeben. Im schlimmsten fall, so Sinn ist ein Haus wertlos und ein Kredit nicht mehr zu tilgen, „Dann wirft man eben den Hausschlüssel bei der Bank ein und zieht in das Mietshaus nebenan“. Denn anders als in Deutschland waren die US-Immobilienkredite nur mit dem Haus besichert, nicht aber mit dem Einkommen der Kreditnehmer. So gesehen hatten die Bauherren nichts zu verlieren, aber viel zu gewinnen.

Ihre Kredite wurden verbrieft, gesammelt und wieder verbrieft, bis sie eines Tages auch in den Büchern deutscher Landesbanken landeten. Damit nahm die Finanzkrise in Deutschland ihren Lauf. Es folgte ein Bankensterben, wie es zuletzt in der Wirtschaftskrise der Dreißigerjahre gesehen wurde und umfangreiche Rettungspakete, „Sicherheitspakete in Höhe von 3,3 Billionen Euro - das ist es, was die Welt gerettet hat", sagt Sinn. „Ansonsten wären wir heute gar nicht hier.“

Doch insbesondere beim, deutschen Rettungspaket bestehe Nachbesserungsbedarf. „Man darf den Banken nicht die Wahl lassen.“ Schließlich deute, sich in Deutschland eine Kreditklemme an, weil die Banken durch restriktive Kreditvergaben ihre Eigenkapitalquoten schönen wurden. „Ich schlage den englischen Weg vor"; sagte Sinn. Dort muss die Eigenkapitalquote wenigstens neun Prozent betragen und das bei, einer Kreditvergabe, die nicht unter dem Schnitt der vergangenen vier Jahre liegen darf. Ansonsten besteht die Pflicht, die staatlichen Garantien in Anspruch zu nehmen. Denn je restriktiver die Kreditvergabe ist desto größer wird die Gefahr von Zweitrundeneffekten infolge sinkender Investitionen. Langfristig plädiert Sinn für verschärfte Eigenkapitalrichtlinien insbesondere für Geschäfte in Steuerparadiesen. „Wenn wir höhere Eigenkapitalquoten einführen, dann ist das Glücksrittertum am Ende.“